Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
war sie in diesem Augenblick nichts als ein Gedanke.
»Ein Gedanke, der sich besser etwas anziehen sollte«, bemerkte Bestie müde.
»Ich habe daran gedacht, danke«, erwiderte Alissa trocken und betrachtete das dritte Muster. Sie wirbelte sich in die Wirklichkeit zurück und blinzelte verblüfft. Das Feuer war aus. Dann lächelte sie. Nutzlos hatte es wohl gelöscht, weil er fürchtete, sie könnte wieder einmal ihre Kleider vergessen haben. Ehe er ihr zuvorkommen konnte, formte sie ein geistiges Feld um das Holz und ließ darin einen Bann wirksam werden, um es wieder zu entzünden. Die Menge an Energie, die sie dafür aufwenden musste, war größer, als sie erwartet hatte. Es war beinahe so, als sei das Holz eiskalt, und nicht warm, weil eben erst erloschen. Dennoch erwachte ihr Feuer mit einem befriedigenden »Wusch« zum Leben und drängte die Dunkelheit zurück.
Sie war allein. Die Teekanne und ihr Becher waren verschwunden. Sogar Lodeshs Pantoffeln waren weg. »Strell?«, rief sie und stieg hinunter auf die Bank. »Nutzlos?« Sie bekam keine Antwort. Besorgt sandte sie einen Gedanken aus, um die beiden zu suchen. Ihr stockte der Atem. Die Feste war voller Menschen.
Alissa setzte sich ziemlich hart auf die Bank.
»Ich muss in den Linien gesprungen sein, ohne vorher eine Erinnerung zu fixieren«, flüsterte sie. »Nutzlos hat mich doch gewarnt. Ich bin eingeschlafen und habe die Linien verpasst.« Das Muster für den Liniensprung war aufgebaut gewesen, als sie sich verwandelt hatte. Vielleicht hatte sie es unabsichtlich ausgelöst. Ihre Verwirrung ließ nach, aber ein besorgtes Flüstern flatterte weiterhin am Rand ihres Bewusstseins herum. Sie stieß es beiseite und sandte einen stummen Ruf nach Nutzlos aus. Wie lange sie wohl geschlafen hatte?
Wieder erhielt sie keine Antwort. »Strell?«, rief sie und richtete den Gedanken so aus, dass er sie hören konnte. »Lodesh?« Beinahe panisch versuchte sie es erneut. Eine schwache Antwort erreichte ihren Geist, und ihre Schultern sanken erleichtert herab. »Lodesh«, dachte Alissa, innerlich seufzend, und stutzte dann. »Was machst du denn draußen auf der Straße? Und wo sind Strell und Nutzlos?«
»Wer?«, drang seine leicht verzerrte Antwort zu ihr.
»Entschuldigung. Talo-Toecan.« Alissa runzelte die Stirn. Lodesh war stets so furchtbar förmlich.
»Nein.« Die Stimme in ihrem Geist war nun stärker. »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Alissa«, platzte sie überrascht heraus.
»Ihr seid im Garten der Feste?«
Sie nickte und vergaß einen Moment lang, dass er die Geste ja nicht sehen konnte. Ihre Nervosität erwachte von neuem und bildete nun einen unverrückbaren Kloß in ihrem Magen.
»Seltsam.« Seine Gedanken, die zwischen Alissas schlüpften, fühlten sich immer noch verwirrt an. »Ich müsste inzwischen unter dem Schweigebann der Feste stehen.« Er zögerte. »Wartet. Ich bin gleich bei Euch.«
Alissa zog die Knie unters Kinn und wartete auf der harten Bank, nur sie, die Grillen und die warme, wolkige Nacht. Lodesh war auf dem Weg hierher, von seiner verlassenen Stadt Ese’ Nawoer zur Feste. Was hatte er dort gewollt? Und er bewegte sich schnell. Zu schnell, selbst für einen rennenden Menschen. Und warum, fragte sie sich und zupfte an dem Loch in ihrem Strumpf herum, sprach er sie wieder so förmlich an? Warum hatte er den Schweigebann der Feste erwähnt? Er wusste doch, dass er sie nicht band, sondern nur Bewahrer.
Ein Holzscheit rutschte ab und drohte aus dem Feuer zu rollen, und sie drehte sich nach dem Gebüsch hinter ihr um, auf der Suche nach einem Stock, mit dem sie das Scheit zurückschieben könnte. Sie riss die Augen auf. Das Gras war gemäht! Sie richtete sich auf, traute sich nicht, ein Licht zu erschaffen, um besser sehen zu können. Doch selbst im nebligen Schimmer der Mondsichel konnte sie erkennen, dass die Büsche beschnitten und die Blumenbeete von Unkraut befreit waren. Mit hämmerndem Herzen wirbelte sie herum. »Dieser Baum«, flüsterte sie und zeigte mit einem zitternden Finger darauf. »An diesen Baum kann ich mich nicht erinnern.« Sie hörte ein Geräusch auf dem Pfad. Erschrocken drehte sie sich um und sah Lodesh auf sich zukommen; seine Stiefel knirschten auf dem Kiesweg.
Groß und geschmeidig, wie er war, bewegte er sich mit tänzerischer Anmut. Sein Kopf war unbedeckt, die blonden Locken ungewöhnlich zerzaust. Er hielt ein Paar Handschuhe in der Hand, die er zusammenlegte und in die hintere Hosentasche
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