Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Stimme. »Frag Connen-Neute. Dazu ist er schließlich da.«
»Connen-Neute!« Alissa schnappte nach Luft und riss sich los. Connen-Neute war ein Meister, der vor fast vierhundert Jahren verwildert war. Asche! Ihr Magen verkrampfte sich, und ihr wurde schlecht, als sie merkte, dass sie sich die Vergangenheit nicht nur ansah. So war es nicht, wenn man eine Erinnerung durchlebte. Sie war bei vollem Bewusstsein, sie konnte handeln, sie wurde wahrgenommen. Was hatte sie getan?
Lodeshs Finger packten wieder zu, und trotz ihrer Gegenwehr zerrte er sie stolpernd in den hell erleuchteten Saal. Schweigen empfing sie, als fünf Leute an einer der vertrauten, langen schwarzen Tafeln bei ihrem Eintreten aufblickten. Drei trugen die Kleidung der Bewahrer, einer ganz gewöhnliche Sachen, und der Letzte, der ein wenig abseits am Kamin saß, war wie ein Meister gewandet.
Alissa erwiderte seinen starren Blick mit hämmerndem Herzen. Er war jung, mit einem langen, ernsten Gesicht, dunkler Haut und dunklem Haar. Es war so obszön kurz geschnitten, wie ihr Vater sein Haar gern getragen hatte. Auch ohne die schwarze Meister-Weste und die rote Schärpe um seine Taille hätte sie erkannt, dass er ein Meister war; seine Augen waren so golden wie die von Nutzlos, und seine Finger hatten dieses zusätzliche Glied. Als er bemerkte, dass sie auf seine Hände starrte, verbarg er sie in seinen weiten grauen Ärmeln.
Der größte der Bewahrer räusperte sich und ließ es wie eine Beleidigung klingen. »Also wirklich, Lodesh. Sei nicht albern.« Missbilligend presste er die schmalen Lippen zusammen. »Deine neueste Eroberung als Bewahrerin zu verkleiden, um sie hier hereinzuschmuggeln? Gemeine dürfen sich nach Sonnenuntergang nicht in der Feste aufhalten.« Er strich mit einer Hand über seinen ordentlich geschnittenen rötlichen Bart und wandte sich wieder den Karten in der anderen zu; Alissa widmete er so viel Beachtung wie einem streunenden Hund. »Bring sie raus«, brummte er.
Lodesh trat einen Schritt zurück, so dass sie sich nun allein den unfreundlichen Blicken ausgesetzt fühlte. »Ich hielt sie für einen deiner Scherze, Earan. Du kennst sie nicht?«
Das flache Gesicht ausdruckslos und starr, blickte Earan von seinen Karten auf. »Nein.«
»Nisi?« Lodesh wandte sich einer jungen Frau zu, die mit ihrem hellen Haar und der blassen Haut aus dem Hochland stammen musste wie Alissa.
Die Frau schüttelte ernst den Kopf, wobei ihre Haarspitzen die Ohren streiften.
»Ich habe sie auch noch nie gesehen«, sagte der Jüngste von selbst. Er war kein Bewahrer, denn er war nicht entsprechend gekleidet. Er war überhaupt nicht gut gekleidet. Über zwei verschiedenen Schuhen lugten die Fußknöchel hervor, und der viel zu große Kittel, den er ständig gerade zupfte, wies Flicken auf. Er wuchs wohl zu schnell, als dass man ihm bessere Sachen geben wollte, vermutete Alissa, denn er hatte diesen unbeholfenen Ausdruck eines Jugendlichen.
»Was ist mit dir, Breve?« Lodesh wandte sich einem finster dreinblickenden Mann zu, dessen Bart grau durchsetzt war; sein Gesicht war wettergegerbt.
»Hab sie noch nie gesehen«, sagte der Mann, verschränkte die Arme und lehnte sich mit argwöhnischer Miene vom Tisch zurück. Seine Worte klangen überraschend wohltönend im Vergleich zu seinem düsteren Auftreten. Er war, so erkannte Alissa, ein Sänger. Diese Stimme klang so kultiviert, dass sie geschult sein musste. Das Timbre erinnerte sie an Strell, und sie spürte einen Stich des Verlustes.
»Ich habe sie im Garten gefunden«, sagte Lodesh.
Der schäbig gekleidete Junge kippte auf seinem Stuhl nach hinten, um unter den Tisch zu schauen. »In Strümpfen?«, fragte er, und alle außer Connen-Neute bückten sich, um nachzusehen.
»Halt den Mund, Ren.«
Alissa errötete und beugte die Knie, um ihre Füße zu verbergen. Sogar die Socken, die sie im Geiste erschuf, waren löchrig. Nutzlos behauptete, das liege daran, dass bereits ihre grundlegende Vorstellung von Strümpfen Löcher beinhaltete.
Earan schob den Fächer aus Karten in seiner plumpen Hand zusammen. »Wer bist du, Mädchen?«
»Alissa Meson«, hörte sie sich sagen. »Schülerin und Mei…« Mit aufgerissenen Augen schlug sie sich die Hand vor den Mund, damit ihr der Rest ihres Titels nicht entschlüpfte. Das lag am Wahrheitsbann der Feste, der eine Antwort verlangte. Das also war das Kribbeln gewesen, das sie auf der Schwelle der Küchentür gespürt hatte! Während sie unter diesem Bann
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