Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Kanne.
»Nein.« Alissa schüttelte vehement den Kopf. »Keine verlorene Kolonie von Meistern.« Diese Gerüchte würde sie nicht auslösen. Ganz gewiss nicht.
»Ach, wirklich?« Er beäugte sie argwöhnisch. »So finden wir also unser Ende?«
Ihr blieb der Mund offen stehen. Sie runzelte die Stirn, schloss den Mund und weigerte sich, ihm irgendetwas zu sagen. Er hatte ohnehin schon fast alles erraten, obwohl sie kaum ein Wort gesagt hatte. Nutzlos’ Lehrmeister war viel klüger, als er aussah. »Ich spiele lieber die verrückte Bewahrerin, danke«, erklärte sie steif.
»Bist du sicher?«, fragte er warnend. »Wenn wir uns einmal entschieden haben, können wir nicht mehr zurück.«
»Bestie?«, flüsterte Alissa in ihren eigenen Geist. »Können wir das?«
»Das wird meine Strafe dafür sein, dass ich den Arroganten angegriffen habe«, flüsterte Bestie trübsinnig und verkroch sich nur noch tiefer.
»Ach, Bestie«, dachte Alissa sanft. Aber Bestie antwortete nicht, also nickte Alissa.
»Dann also eine Bewahrerin«, sagte er, offensichtlich erfreut darüber, dass er so viel von ihr erfahren hatte. »Jemand wird sein Zimmer räumen müssen. Da du ja verrückt bist, solltest du ein privates Schlafgemach haben. Du hast immerhin schon Earan auf den Tisch geschleudert – wer weiß, wozu du noch fähig wärst?«
»Entschuldigung«, flüsterte Alissa und spürte, wie ihr warm wurde.
»Nach allem, was ich gehört habe, hatte er das verdient.«
»Mag sein.« Alissa wandte den Blick ab. »Aber das hätte nicht geschehen dürfen.«
»Wir machen alle hin und wieder solche Fehler«, flüsterte er, den Blick auf das ersterbende Feuer gerichtet. Nur die Kohlen glommen noch. Sie spürte den Hauch einer Berührung an ihrem Bewusstsein, als sich ein Schlafbann über sie senkte. Sie versuchte, dagegen anzukämpfen, aber der Bann wirkte zu schnell, und sie glitt in einen ungewollten, unruhigen Schlaf.
– 6 –
L odeshs Pantoffeln glitten lautlos über den Teppich in der großen Halle, als er sich im Dunkeln zum Eingang des ersten Kellertunnels schlich. Aus seiner Brusttasche lugten schimmernde Asternblüten hervor, die er vorhin aus der Vase am Fuß der Treppe gezogen hatte. Er betrat das bekanntere Dunkelgrau des Tunnels und lächelte über den tröstlichen Geruch nach Leder und Pferden. Redal-Stan hatte ihm befohlen, zu Bett zu gehen, doch ihm war nicht nach Schlafen zumute. Er musste jemanden in der Stadt um einen Gefallen bitten.
Bald drang das Geräusch malmender Zähne zu ihm. In den Stallungen war immer irgendjemand wach, meistens allerdings die Pferde und nicht die Schüler, die für deren Pflege verantwortlich waren. Wie erwartet, fand er zwei Mädchen vor, die auf stoffbedeckten Strohballen schliefen. Er kniete sich hin und rüttelte eines von ihnen wach. Die Schülerin blinzelte im Licht der Fackeln und rieb sich die Augen. Als sie sah, wer vor ihr hockte, richtete sie sich auf und streckte die Hand nach ihrer Freundin aus.
»Psst …«, machte Lodesh. »Schlaf ruhig weiter, Coren. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich mir mein Pferd hole.«
»Ich hole ihn«, flüsterte sie hastig. »Ich hätte nicht einschlafen dürfen.« Ihr Gesicht wirkte so verkniffen fast noch hübscher als sonst.
»Nein, ist schon gut. Es ist mitten in der Nacht. Nur Verrückte und Verliebte sind zu dieser Stunde noch auf.«
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, und Lodesh überreichte ihr die Astern. Wie er gehofft hatte, errötete sie. »Jetzt leg dich wieder schlafen, und träum von diesem Jungen – ich habe letzte Woche gesehen, wie du ihn auf der Straße angestarrt hast.« Lodesh ließ sich auf die Fersen zurücksinken. »Er ist Lehrling bei der Weberzunft, nicht wahr?«
Sie nickte, schlug die Augen nieder und zwirbelte verlegen die Stängel zwischen ihren Fingern.
»Er wäre eine gute Wahl«, sagte Lodesh. »Lass ihm noch ein paar Jahre Zeit, erwachsen zu werden.« Er stand auf, zwinkerte ihr zu, suchte dann leise summend Stiefel und Zaumzeug zusammen und füllte im Vorbeigehen einen Becher mit Korn.
»Guten Abend, Nachtschatten«, murmelte er und streichelte die Nase des wunderschönen schwarzen Tieres, das aufgewacht und in seinem Verschlag nach vorn gekommen war, als es das Rascheln der Körner gehört hatte. Er reichte ihr rasch eine Handvoll und ging weiter.
»Sturmwind«, flüsterte er. »Du siehst besser aus.« An die hintere Wand des nächsten Verschlags drückte sich ein Neuankömmling. Als
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