Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
sie eine Möglichkeit, sich von den anderen zu entfernen und ihr Geheimnis zu wahren.
»Ich glaube, es liegt an Keribdis’ Stiefeln«, sagte sie, zog mühsam einen aus dem Steigbügel und streckte den Fuß aus. »Sie glauben, ein Raku sei hier unterwegs.«
Lodeshs Stirn glättete sich. »Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte er, doch das Stirnrunzeln kehrte gleich darauf zurück. Alissa konnte ihm das Dilemma beinahe vom Gesicht ablesen. Immerhin konnte sie schlecht die Stiefel ausziehen und barfuß herumlaufen.
»Ich warte hier an der Quelle«, sagte sie, rutschte wenig anmutig von Häppchens Rücken und stolperte, als ihre Knie den Dienst verweigerten.
»Seid Ihr sicher?«
Alissa fühlte sich, als stünde sie am Grund eines Brunnens, als sie mit zusammengekniffenen Augen zu ihm aufblickte; das Grün seiner Augen verschlug ihr den Atem. »Ja. Reitet nur weiter, ich, äh, würde mir gern einen Moment die Beine vertreten.«
Sein Lächeln nahm einen wissenden Ausdruck an. Als er nach Häppchens Zügeln griff, zog Alissa ihn dichter zu sich heran. »Ihr werdet doch dafür sorgen, dass sie den Grauen bekommt?«, flüsterte sie.
»Ich würde nicht zulassen, dass sie sich ein anderes Pferd aussucht«, flüsterte er zurück. Nach einem argwöhnischen Blick zu Kally deutete er auf ein hochgewachsenes Unkraut, das verdorrt aussah. »Könntet Ihr mir etwas davon geben?«, bat er. »Passt auf die Dornen auf. Ich brauche nur das Weiche, Grüne darunter.«
Alissa schob ihre Hand zwischen die Dornen und musste zu ihrer Überraschung Häppchen abwehren, sobald sie eine Handvoll weicher Blätter abgezupft hatte. Selbst Nachtschatten schien sehr daran interessiert zu sein, und Lodesh stopfte die klebrigen Blätter hastig unter seinen leichten Mantel.
Nach einem letzten Winken ritten Lodesh und Kally auf die nahe Herde der Stuten und Jungtiere zu. Häppchen folgte ihnen freiwillig. Alissa ließ sich auf einem großen, flachen Felsen am Ufer des kleinen Quellteichs nieder und sah zu, wie die anderen sich unter die Herde mischten.
Lodeshs Stimme drang schwach bis zu ihr, als er Kally die Vorzüge jedes Fohlens erklärte, an dem die beiden vorbeiritten. Zu ihrer Überraschung überging er dabei den Grauen, für den Kally sich interessierte. Dann klopfte Lodesh ihr kameradschaftlich auf die Schultern und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das andere Ende der Wiese. Doch mit diesem freundschaftlichen Tätscheln hatte er ihr unbemerkt ein paar Blätter an den Mantel geklebt. Dem grauen Hengstfohlen jedoch war das nicht entgangen. Mit gespitzten Ohren knabberte er die Blätter vorsichtig von ihrem Rücken. Schon waren sie verschwunden, und er stupste Kally an, weil er mehr wollte. Kally drehte sich um, beglückt und begeistert.
Dennoch zog Lodesh sie widerstrebend weiter zu einem anderen Pferd und nutzte die Gelegenheit, ein weiteres Blatt von dieser Pflanze an ihre Schulter zu kleben. Dann wandte er sich ab und tat, als wüsste er von nichts.
Lodesh übersah absichtlich den hingerissenen Blick, der sich über Kallys Gesicht breitete, als das weiche Schnuppern des Hengstfohlens an ihr Ohr drang, doch Alissa beobachtete die beiden und war den Tränen nahe, als sie erkannte, dass Kally einen Freund fürs Leben gewonnen hatte. Das Hengstfohlen gehörte ihr und sie dem Hengstfohlen – eine Freundschaft, deren Tiefe beide noch nicht ahnen konnten.
»Den da?«, rief Lodesh in gespielter Bestürzung, und Alissa lächelte über Kallys hitzige Erwiderung.
Kopfschüttelnd wandte Alissa sich der Quelle zu, um die Pferde zu beobachten, die zum Trinken hierhergekommen waren. Der Wind wehte ihr das Haar um die Ohren, und die Tiere schnaubten erschrocken und rasten in donnerndem Galopp davon. »Ich werde euch schon nicht fressen«, brummte sie und zögerte dann. Ein Pferd war nicht davongelaufen. So wie er aussah, mochte der Hengst krank sein, und vielleicht riskierte er deshalb ihre Nähe, um zu trinken. Kein Fleischfresser, der auch nur ein wenig Selbstachtung besaß, würde ihn anrühren.
»Du musst jemandem auf der Feste gehören«, sagte sie, als ihr der Gedanke kam, dass das räudig aussehende Vieh wohl an den Geruch von Rakus gewöhnt war. Alissa freute sich über die Gesellschaft, so hässlich sie auch sein mochte. Sie ließ sich wieder auf ihrem Felsen nieder, genoss die Wärme der Sonne und lauschte mit geschlossenen Augen den Insekten.
Das Pferd weckte sie mit einem sachten Wiehern aus ihrem Dämmerschlaf. Alissa richtete sich auf
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