Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
hinunter und kocht uns eine Kanne Tee.«
»Tee!« Lodesh fuhr zurück. »Es ist zu heiß für Tee.«
»Dennoch ist mir gerade sehr nach Tee.« Talo-Toecan kehrte ans Fenster zurück, und nur sein Schatten lag noch zwischen ihnen. Strell und Lodesh beäugten einander darüber hinweg.
Auf Lodeshs Gesicht spiegelte sich wissende Resignation. »Selbstverständlich. Tee«, sagte er und ging hinaus. Vom Flur aus war sein leises Brummen zu hören: »Wenn Ihr wollt, dass ich gehe, warum sagt Ihr es dann nicht einfach?«
»Und lasst das Wasser von selbst zum Kochen kommen«, rief Talo-Toecan ihm nach. Mit einer Grimasse ließ er sich wieder auf das Fensterbrett sinken. »Ich will meinen Tee wenigstens genießen können, wenn ich an einem solchen Tag schon welchen trinken muss«, setzte er leise hinzu.
Strell fühlte sich von einer Wahrheit gefangen, die niemand sonst für wahr hielt. »Ihr glaubt mir doch, oder nicht?«, fragte er.
»Was würdest du denken …« Der Meister zögerte, als müsse er sich fassen. »Was würdest du denken, wenn ich dir sagte, dass ich auch jemanden hören kann, der für mich unerreichbar ist – manchmal.«
Strell blickte auf, und der Anflug geteilter Verletzlichkeit in Talo-Toecans Stimme erregte seine Neugier. »Ich würde sagen, hört auf diesen Ruf, und folgt ihm, so weit Ihr nur könnt.«
»Ja.« Er seufzte. »Das denke ich auch.«
»Dann glaubt Ihr nicht, dass ich nur zu viel Sonne abbekommen habe.«
Talo-Toecan strich sich mit der Hand über das kurz geschorene Haar, sah Strell an und rasch wieder fort. »Du hast eine wilde Bestie jetzt drei Tage hintereinander mit der Flöte herbeigelockt? Ich glaube dir.«
Strell sackte vor Erleichterung in sich zusammen. In einem kurzen Ausbruch von Lebhaftigkeit durchquerte er das Zimmer und setzte sich auf die Kante von Alissas Sessel. Es hatte ihm nicht gefallen, dass Lodesh darauf gesessen hatte. Mit den Ellbogen auf den Knien barg er den Kopf in den Händen. »Sie hat mich gehört, und jetzt ist sie fort. Wie kann das sein?«, fragte er.
Der Meister seufzte, als gebe er sich geschlagen. »Ich habe keine Ahnung. Aber das macht es nicht weniger wirklich.«
»Lodesh glaubt mir nicht.«
»Glaubt er dir nicht?«, fragte der Meister. »Oder will er dir nicht glauben? Vielleicht ist er eifersüchtig, weil du sie hören kannst und er nicht.« Er schob die Vorhänge beiseite und starrte in Richtung Ese’ Nawoer. »Ich wüsste selbst gern, wie du das schaffst.«
Strell schloss die Augen. Er wusste nicht recht, ob es mehr schmerzte, darüber zu sprechen oder es für sich zu behalten. »Ich glaube, es war Connen-Neutes Nähe, die ihre Präsenz klarer gemacht hat. Aber das hat vorher noch nie einen Unterschied gemacht.« Er rieb sich den Rest seiner Kopfschmerzen aus den Schläfen.
Auf dem Flur waren Schritte zu hören, und Lodesh trat ein, eine dampfende Teekanne und Becher in den Händen.
»Ich danke Euch, Lodesh.« Talo-Toecan streckte begierig die Hand aus. Mit erwartungsvoll leuchtenden goldenen Augen schenkte er Tee ein und reichte erst Strell, dann Lodesh einen Becher, die beide ungläubig ablehnten. »Strell hat eine interessante Theorie entwickelt«, sagte Talo-Toecan, »weshalb Alissas Präsenz mal leichter zu spüren ist, mal schwerer.«
Lodesh schien zu erstarren und griff dann nach der Teekanne – offenbar hatte er es sich anders überlegt. »Und die lautet?«, fragte er. Die Worte klangen in Strells geübtem Ohr argwöhnisch, und er blickte auf.
»Er glaubt, dass Connen-Neutes Präsenz die Klarheit von Alissas Präsenz erhöht.«
Lodesh verbarg sich hinter seinem Becher, und Strell runzelte die Stirn. Der Bewahrer verhielt sich seltsam. Es waren nur Feinheiten, aber Strell, der als Kind eines Tiefland-Händlers aufgewachsen war, bemerkte sie sofort. »Manchmal«, fügte Strell hinzu und beobachtete Lodesh genau. Dann warf er Talo-Toecan einen Blick zu und erkannte, dass dem Meister ebenfalls etwas aufgefallen war. »Aber etwas fehlt. Ich komme nur noch nicht dahinter, was.«
Talo-Toecan rieb sich die Schläfen und nippte an seinem Tee. Er verzog das Gesicht und stellte den Becher weg. »Einen Kontakt herzustellen, eine echte Kommunikation, so wie du es heute getan hast, ist ganz entscheidend. Wenn es uns gelingt, das zu wiederholen, haben wir vielleicht eine Chance, sie zurückzuholen.«
»Wie?«, fragte Strell, doch der alte Raku schüttelte mit leerem Blick den Kopf.
Lodeshs Griff um den Becher schien sich zu lockern,
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