Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
sich mit der Hand über den Bart.
»Ist schon gut, Alissa«, sagte er. Er betupfte sich die Nase und stopfte hastig das Tuch weg, ehe sie erkennen konnte, ob sie ihm die Nase blutig geschlagen hatte oder nicht.
»Es ist nicht gut«, stöhnte sie. »Dies ist meine Hochzeitsnacht, und … und … nichts ist passiert!« Tränen brannten in ihren Augen, und sie ließ den Kopf hängen. »Lodesh hat mir gesagt, dass Bestie das tun würde«, erklärte sie kläglich. Sie war fast die ganze Nacht lang wach gewesen, und sie war müde und weinerlich vor Erschöpfung und unerfüllter Vorfreude.
Strell kicherte, und sie fühlte sich noch niedergeschlagener. »Lodesh weiß aber nur die Hälfte«, sagte er, und sie blickte verschwommen zu ihm auf. Lächelnd wischte Strell ihr mit dem Daumen eine Träne von der Wange. Seine Schultern lockerten sich, als sie ihn nicht schlug. »Er vergisst, dass ich Musikant bin«, murmelte er.
»Wie meinst du das?«, fragte sie und schniefte laut.
»Ich meine, dass wir schon einen Weg finden werden. Sonst wird Bestie eben einschlafen müssen. Wenn sie sich ein wenig beruhigt hat, wird es mir vielleicht auch gelingen, sie zu bezaubern?«
»Ich werde nicht schlafen«, schwor Bestie.
Alissa ignorierte sie. »Meinst du wirklich?«, fragte sie, und ihre Stimme zitterte leicht vor Hoffnung.
»Ich bin ganz sicher. Warum schläfst du nicht ein bisschen? Ich komme auch, sobald ich mich um das Feuer gekümmert habe.«
Bei seinen Worten wallte ein starkes Gefühl in ihr auf. »Ich komme auch«, hatte er gesagt. Zu ihr. Unter dasselbe Dach. Verheiratet. Asche, was, wenn sich versehentlich ihre Füße berührten? »Ist gut«, sagte sie, stand auf und klopfte sich den Sand vom Rock.
Ein leises Flattern zog ihren Blick zu den Bäumen empor. Ihr wurde eiskalt, als ein Falke landete und auf einem langen, grünen Zweig leicht schaukelte. »Kralle«, flüsterte sie. »Wir haben Kralle ganz vergessen.« Der Vogel ließ sich auf ihre Faust fallen, stieß laute Rufe aus und zwickte sie in die Finger. Er trug eine Scheibe von einer roten Frucht in den Krallen und wirkte unendlich selbstzufrieden, als er das klebrige Ding Alissa in die Hand schob.
Alissa runzelte die Brauen. »Geh weg!«, rief sie und wedelte mit der Hand. Kralle erhob sich unter empörtem Kreischen in die Luft. Sie hockte sich auf einen nahen Baum und keckerte vorwurfsvoll, als das Stück Obst in den Sand fiel. Alissa wandte sich Strell zu, und die Verzweiflung drehte ihr den Magen um.
»Ich werde sie irgendwo festbinden«, versprach Strell grinsend. »Um Bestie mache ich mir mehr Sorgen.«
»Nein«, rief Alissa und wich in den Schatten der Bäume zurück. »Sie sind ihr gewiss gefolgt!«
Strell blieb der Mund offen stehen. »Bei den Wölfen«, fluchte er und schob mit dem Fuß Sand auf das Feuer.
Aber es war zu spät.
Heulend wie einer der Wölfe des Navigators selbst landete Keribdis am Strand. Sandfontänen spritzten auf und landeten als kniehohe neue Dünen. Alissa war starr vor Entsetzen. Der Raku verwandelte sich, und Keribdis stand vor ihr, ganz in Violett gekleidet und steif vor Wut. »Sonnenaufgang«, zischte die Frau.
Alissas Lippen bewegten sich, doch es kam kein Laut aus ihrem Mund. Hundert freche Antworten erstarben vor Furcht.
»In die Luft mit dir«, sagte Keribdis kalt, und ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu.
»Nein«, erwiderte Alissa und wich zurück, bis sie gegen Strell stieß, der ihr die Hände auf die Schultern legte.
Keribdis kam noch einen Schritt näher. »In – die – Luft.«
Verängstigt schüttelte Alissa den Kopf. Keribdis war die beste Fliegerin der Feste. Alissa würde sich nicht in ihr Element begeben. Keribdis wollte ihre Dominanz beweisen, und in der Luft würde ihr das gelingen.
Keribdis verwandelte sich in einem grauen Wirbel. »In die Luft mit dir!«, kreischte sie in Alissas Geist.
»Los«, flüsterte Bestie leise, und Alissa zuckte zusammen, als sie Besties Vorfreude und Begierde spürte. In Panik verwandelte sich Alissa. Sie hörte Strells warnenden Aufschrei, doch sie konnte nicht mehr klar denken. Sie konnte nur noch reagieren. Sie musste fliehen.
»Jetzt beginnen wir unseren Unterricht«, sagte Keribdis, sobald Alissa als Raku wieder erschien. Die Gedanken der Meisterin waren blutrünstig.
Alissa sprang in die Luft. Bestie übernahm die Kontrolle, und Alissa war so dankbar dafür, dass sie hätte weinen mögen. »Sie ist eine Närrin, wenn sie glaubt, sie könnte uns in der Luft
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