Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Talo-Toecan schloss mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen.
Yar-Taw räusperte sich. »Du hast ein paar Kleinigkeiten ausgelassen, Tiefländer.«
Talo-Toecan riss die Augen auf, und Strell musste sich beherrschen, um beim Anblick von so viel mühsam gezügeltem Zorn nicht zu erschauern. »Den Rest werde ich von Alissa erfahren«, sagte der Meister und kniete sich neben sie. Er berührte sacht mit dem Handrücken ihre Wange. Strell sah seine langen Finger zittern und fragte sich, ob der Meister etwa Angst hatte. Die anderen waren vor dem Eingang stehen geblieben, und dennoch kam ihm das große Zelt nun recht klein vor, da Lodesh, er selbst, Yar-Taw, Silla und Talo-Toecan sich darin drängten.
Yar-Taw schüttelte den Kopf und seufzte. »Daraus wird sie nicht mehr erwachen. Ich habe versucht, beide zu erreichen. Sie haben sich schon zu tief zurückgezogen.«
Strell wich einen Schritt zurück, als Talo-Toecan herumfuhr und aufstand. »Doch, das wird sie. Beide werden zurückkehren«, sagte Talo-Toecan.
Yar-Taws Blick war voller Mitgefühl. »Es tut mir leid, Talo-Toecan. Connen-Neute vielleicht, aber deine Schülerin ist verloren. Aus einem solchen Schmerz zurückzukehren, wenn man weiß, dass es nichts gibt, wozu man zurückkehren könnte? Nein. Ich könnte sie möglicherweise finden, aber nicht zurückbringen. Und du auch nicht.«
Talo-Toecan biss die Zähne zusammen. Lange Finger ballten sich zu Fäusten. Er trat einen Schritt auf Yar-Taw zu. »Sie kennt den Rückweg bereits«, sagte er. »Und sie hat denselben Pfad auch Connen-Neute gezeigt. Hat sie euch nicht erzählt, dass sie schon einmal aus dem Garten der Herrin des Todes zurückgefunden hat?«
»Nein.« Yar-Taw war nun rot vor Zorn und weigerte sich nachzugeben. »Hat sie dir erzählt, dass sie nach ihrer ersten Verwandlung ihr wildes Bewusstsein behalten hat?«
Talo-Toecan blieb der Mund offen stehen. Er blinzelte und schloss ihn. Er blickte hinter sich auf Alissa und wieder zurück. »Nein!«, flüsterte er drängend. »Sie … aber sie hat es doch zerstört.« Völlig verwirrt sah er Lodesh an. »Du warst dabei. Du hast es gesehen.«
Lodesh zuckte mit den Schultern. »Deshalb hat Keribdis ihr die Quelle genommen.«
»Nein, nicht deshalb«, mischte Strell sich hitzig ein. Er würde nicht zulassen, dass die Wahrheit im Sand verbuddelt wurde wie ein ungewolltes Neugeborenes. »Keribdis hat ihr die Quelle genommen, weil sie wusste, dass Alissa sich mit allem abfinden würde, um sie zurückzubekommen. Deshalb hat Alissa sie verbraucht. Sie wollte nicht dieser Frau gehören.«
Talo-Toecan schien ihn nicht gehört zu haben. Er sah aus, als stünde ihm eine ferne Erinnerung vor Augen. »Ich fand es damals sehr merkwürdig, dass sie gleich fliegen konnte«, sagte er. »Das war ihr wildes Bewusstsein.«
»Das war auch der Grund dafür, dass sie Euch nicht huckepack nehmen wollte, damit Ihr Silla im Traum erreichen könnt«, fügte Lodesh hinzu. »Sie hatte Angst, dass Ihr Bestie sehen würdet, so wie Connen-Neute sie gesehen hat.«
Talo-Toecans Blick schnellte zu Connen-Neute hinab, vermutlich genau das, was der Bewahrer bezweckt hatte. »Bestie?
Ihr zweites Bewusstsein hat einen Namen? Und ihr alle wusstet davon?«
Strell erbleichte unter Talo-Toecans bohrendem Blick. »Nein«, antwortete Strell. »Ich habe es erst vor ein paar Tagen erfahren. Aber, Talo-Toecan, sie irren sich. Bestie ist trotzdem Alissa. Ich bin der Einzige, der Alissa gut kannte, bevor sie die Verwandlung lernte, und ich sage Euch, Bestie ist trotzdem sie.«
»Du glaubst, es …« Der alte Meister rang offensichtlich um Fassung. »Es ist noch da?«
Strell schüttelte den Kopf. Sie begriffen es immer noch nicht. »Bestie ist Alissa«, wiederholte er geduldig. »Ihr Meister unterliegt einem Irrtum. Das wilde Bewusstsein, das Ihr bei Eurer ersten Verwandlung Eurer Meinung nach zerstört, ist nichts, was sich unabhängig entwickelt. Es ist immer schon da. Es wird nur vom Rest Eures Selbst getrennt, wenn Ihr lernt, wie Ihr Euch verwandeln könnt.« Strell achtete nicht auf die zornigen Stimmen, die sich auf seine Worte hin erhoben.
»Schafft ihn hier raus«, knurrte Yar-Taw. »Ich habe keine unterdrückte, wilde Bestie in mir. Niemand hat so etwas.«
Beso-Ran trat vor, und Strell straffte die Schultern. »Nein!«, schrie er. »Ihr habt zugelassen, dass Keribdis Alissa beinahe umgebracht hat, weil sie das Gleiche gesagt hat. Könnte das daran liegen, dass es wahr ist? Habt ihr
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