Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
vermischt mit dem Wind und den Schreien der Möwen, und sie wandte sich wieder dem Meer zu. Silla und Connen-Neute hätten zum Schiff herüberfliegen können, doch der Kapitän schätzte es verständlicherweise nicht besonders, dass sein Schiff jedes Mal fast kenterte, wenn ein Raku darauf landete. Alissa stieß sich von der Reling ab und ging mit Strell zu der Stelle, wo die Strickleiter über die Seite hing.
»Ach, hier«, sagte Strell auf halbem Weg über das Deck. »Die gebe ich dir besser wieder. Ich glaube, zumindest der Kapitän und Hayden wären froh, wenn du sie wieder tragen würdest.«
Alissas Blick fiel auf seine Hand, als sie ein leises Bimmeln hörte. »Meine Glöckchen!«, rief sie. Die hatte sie völlig vergessen.
»Nicht nur deine Glöckchen«, sagte er leise und zog ihren Ring aus einer Tasche.
»Mein Ring!«, rief sie aus und blickte sich dann in der Hoffnung um, dass Yar-Taw sie nicht gehört hatte. »Ach, Strell«, sagte sie mit bebender Stimme, als er den Ring an ihrem Haarband befestigte und es ihr um den Hals legte. »Ich danke dir. Ich dachte, ich hätte ihn verloren.«
Strell drückte sie kurz an sich und ließ sie gleich wieder los, ehe Bestie Anstoß nehmen konnte. »Ich habe mich gestern gleich auf die Suche danach gemacht, nachdem ich dir etwas zu essen besorgt hatte. Ich wäre schon früher gegangen, aber ich konnte dich nicht allein lassen. Nicht, ehe Talo-Toecan bei dir war und ich wusste, dass du es schaffen würdest.«
»Asche«, hauchte sie mit Tränen in den Augen. »Danke.«
Er sagte nichts, sondern tupfte ihr mit dem Zipfel seines Ärmels die Augen trocken. »Kein Wort«, sagte er und wandte sich der Reling zu, wo sich bei Ankunft des Ruderboots lautes Hallo erhob. »Wir sollten Talo-Toecan sagen, was wir getan haben, ehe wir es sonst irgendjemandem erzählen.«
Sie blickte auf Redal-Stans Uhr, die wie ein Anhänger von seinem Hals baumelte. Sie nickte und steckte sich die Glöckchen in die Tasche, um sie später anzulegen. Ein Stich fuhr ihr durchs Herz, als sie unwillkürlich in der Takelage nach Kralle suchte, doch sie schob den Schmerz beiseite. Sie vermisste sie, oder ihn, oder beide.
»Alissa!«, rief Silla, als ihr üppig mit Bändern geschmückter Kopf über der Reling erschien. Strell half der jungen Frau, und sie kletterte sicher an Deck. »Wie bist du vor mir hier herausgekommen?«
»Ich bin schon seit Sonnenaufgang hier«, sagte sie und erwiderte die spontane Umarmung der jungen Frau.
»Du kannst es wohl kaum erwarten, nach Hause zu kommen?«
»Mag sein.« Alissa warf Strell einen Blick zu. Es würde schön sein, einen neuen Rhythmus für ihre gemeinsamen Tage zu finden.
Connen-Neute kam als Nächster und blieb unsicher neben Silla stehen. »Wir werden den ganzen Weg per Schiff reisen«, sagte er, als erwarte er Protest.
»Tatsächlich?« Alissa blickte erstaunt zwischen den beiden hin und her. »Ich hätte erwartet, dass ihr mit den anderen vorausfliegen wollt.«
Lodeshs blonder Kopf reckte sich über die Reling. »Nein«, beantwortete er ihre Frage. Mit schelmischem Lächeln sprang er über die Reling und landete anmutig auf dem Deck. »Kapitän Sholan braucht eine Mannschaft, also hat Connen-Neute sich bereiterklärt, die Reise mit uns Menschen zu machen.«
Alissa warf Silla einen Blick zu. Der Einfluss der jungen Frau auf diese Entscheidung war offensichtlich. Sie war nicht stark genug, um die weite Strecke zu fliegen. »Nun ja«, sagte Alissa, um sie zu trösten. »Die anderen werden den Weg auch nicht auf einmal bewältigen. Deshalb brechen wir jetzt auf: damit sie auf halbem Wege einen Platz zum Ausruhen haben.«
Connen-Neute lächelte Alissa dankbar an. Silla rückte ein wenig näher an ihn heran, und seine Ohren röteten sich. Silla merkte offenbar nichts von Connen-Neutes Verlegenheit und stützte sich ganz selbstverständlich mit der Hand an seiner Schulter ab, als sie sich über die Reling beugte und Hayden unten im Ruderboot mit den Bündeln kämpfen sah. »Neugwin hat gesagt, ich sollte die Feste erst sehen, wenn sie ein wenig Zeit hatten, alles in Ordnung zu bringen«, erklärte Silla, den Blick auf die Wellen gerichtet, die sacht gegen den Rumpf klatschten.
Lodesh grinste. »Sie wird gewiss sämtliche Möbel aus den Lagern nach oben zerren«, sagte er.
»Und die Speisekammer auffüllen«, sagte Strell.
»Und den Garten von Unkraut befreien …«, stöhnte Alissa, die auf einmal froh war, dass sie den langen Weg nehmen
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