Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
lernen.«
Alissa setzte sich auf einen praktischerweise mit erträumten Felsen. »Kannst du das denn noch nicht?«
Silla wandte sich ab. »Natürlich. Ich bin nur noch nicht so gut darin.«
Alissa wand sich innerlich, als sie Sillas offenkundige Verlegenheit bemerkte. »Entschuldige. Ich kann es auch noch nicht gut«, fügte sie hinzu, und Silla schenkte ihr ein kurzes, dankbares Lächeln.
»Hör zu«, sagte Alissa. »Ich bin froh, dass ich dich heute gefunden habe. Du bist echt. Ich meine, ich bin echt.« Sillas herzförmiges Gesicht wurde schlaff vor Staunen, und Alissa fügte hinzu: »Erinnerst du dich daran, dass ich dir von der Feste erzählt habe?«
»Ja«, sagte Silla zurückhaltend. »Von dort sind wir gekommen. Es ist sehr kalt da.«
Alissa sprang aufgeregt wieder auf. »Kalt. Wie Schnee! Erinnerst du dich daran, dass ich dir Schnee gezeigt habe? Ich bin jetzt dort. Mit Nutzlos. Von ihm habe ich dir auch erzählt. Aber sein richtiger Name ist Talo-Toecan.« Der korrekte Name ihres Lehrmeisters hörte sich aus ihrem Munde seltsam an.
Sillas Augen weiteten sich. »Talo-Toecan? Er ist … Er ist Keribdis’ –«
»Ja!«, rief Alissa. »Ihr Mann. Geht es ihr gut? Nutzlos – ich meine, Talo-Toecan – hat versucht, sie zu erreichen, seit ihm klar geworden ist, dass du ein echter Mensch oder vielmehr Raku bist und dass es möglich ist, einen anderen über so große Entfernung zu erreichen.« Ihre hastig hervorgestoßenen Worte überschlugen sich fast.
»Du bist – echt?« Silla sah aus, als sei ihr übel. »Ich habe dich für einen Traum gehalten.«
»Connen-Neute und Lodesh sind auch hier«, sagte Alissa und ergriff Sillas Hände.
Silla entzog sich ihr und wich zurück. »Connen-Neute ist verwildert.«
Alissa grinste. »Jetzt nicht mehr. Ich habe seine Bewusstheit versehentlich aus der Vergangenheit in die Zukunft versetzt. Es war gewissermaßen meine Schuld, dass er damals überhaupt verwildert ist. Aber hör mir zu. Ich bin eine Meisterin, genau wie du. Talo-Toecan sagt, dass dies keine Träume sind, sondern eine Kommunikation, die nur möglich ist, wenn der Verstand entspannt und frei ist, das Unmögliche zu glauben. Es ist fantastisch, dass wir uns über eine so weite Strecke erreichen können.«
Mit bleichem Gesicht trat Silla einen weiteren Schritt zurück. »Ich habe gesehen, wie du von deinem Vater geträumt hast«, sagte sie. »Er war kein Meister. Wie könntest du dann eine Meisterin sein? Du siehst nicht wie eine aus.«
Besorgt, weil Silla sich vor ihr fürchtete, trat Alissa vor. »Meine Vorfahren stammen aus dem Tiefland, dem Hochland und sogar von der Küste. Ich habe den Sprung von der Bewahrerin zur Meisterin geschafft«, erklärte sie. »Warte. Ich kann dir beweisen, dass ich wirklich bin«, flehte sie. »Ich weiß, dass deine Lehrmeisterin Keribdis ist. Das hast du mir nicht gesagt. Aber Connen-Neute trägt die gleiche rote Schärpe wie du. Sie hat also auch ihn unterrichtet.«
Silla schüttelte heftig den Kopf. »Connen-Neute ist verwildert. Ich habe die Geschichten gehört. Du bist ein Traum, der mir nur Dinge sagt, die ich schon weiß. Keribdis hat gesagt, dass ich gar nicht an dich denken darf. Dass du der Wahnsinn bist. Dass ich verwildern könnte, wenn ich auf dich höre!«
»Silla!«, rief Alissa und erkannte deren Drang zu fliehen. »Frage Keribdis nach Lodesh Stryska. Er ist Bewahrer. Er ist hier auf der Feste. Blondes Haar, grüne Augen, und er versucht ständig, mich zum Erröten zu bringen. Keribdis wird sich an ihn erinnern. Er kocht sehr guten Tee«, endete sie mit schwacher Stimme.
Silla sah völlig verängstigt aus, und Alissa suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihr zu beweisen, dass keine von ihnen beiden wahnsinnig war. »Frag Keribdis nach den Bechern, die er aus seinen Gedanken erschafft«, sagte sie plötzlich. »Sie sind so groß wie zwei Fäuste! Niemand hat dir das je erzählt, oder?«
»Aber er ist tot«, flüsterte Silla. Mit großen Augen starrte sie Alissa an. »Er war der letzte Stadtvogt von Ese’ Nawoer.« Sie wich zu dem schmalen Trampelpfad zurück, der von der Klippe hinunterführte.
»Silla! Ich bin wirklich!«, rief Alissa. »Talo-Toecan möchte, dass ihr alle nach Hause kommt.«
»Ich kann nicht fliegen!«, schrie Silla. »Es ist meine Schuld, dass wir nicht von dieser Insel fortkönnen!« Ihr Gesicht nahm wieder einen ängstlichen Ausdruck an. »Du bist ein Traum. Du bist der Wahnsinn. Verschwinde aus meinem Traum! Geh weg!«,
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