Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
schnaubte höhnisch. Ihre Bemerkung hatte vorwurfsvoll geklungen, und Strell erstarrte.
Der Duft von Euthymienholz stieg ihr in die Nase, als Lodesh an ihrer anderen Seite erschien. »Lass mich dir ein Haarband kaufen, Alissa«, erbot sich der gut gekleidete Mann galant.
Alissa strahlte. »Nein, so etwas! Danke, Lodesh. Du bist wirklich ein feiner Herr.«
Strells Griff an ihrem Arm verstärkte sich. »Ich kaufe dir ein Band«, sagte er, und sein Hals färbte sich rot.
»Lodesh möchte mir eines kaufen«, erwiderte sie und freute sich darüber, dass Strell sich so aufregte.
»Augenblick«, sagte Strell und deutete auf einen Passanten. »Fragen wir doch diesen Mann, wo der nächste Schneider ist. Ich will dir ein Haarband kaufen.« Er zog Alissa aus Lodeshs sanftem Griff und überquerte mit ihr die Straße. Dort stand ein Mann mit einem Karren voll Brot, mit einem Tuch gegen Wetter und Fliegen geschützt. Auf halbem Weg ließ ein schriller Schrei sie innehalten.
»Strell?«, rief eine Frau, offenbar außer sich vor Freude. »Strell! Bei den Hunden! Du bist wieder da!«
Überrascht fuhr Alissa herum. Eine winzige, zierliche Frau mit einem Kleinkind auf der Hüfte eilte achtlos über die geschäftige Straße. Die klingelnden Glöckchen an ihrem Knöchel schienen ihr auf magische Weise Platz zu verschaffen. Alissa wich zurück und erstarrte fassungslos, als die Frau sich auf Strell stürzte. Sie drehte sich zur Seite, um das Kind aus dem Weg zu halten, schlang einen Arm um Strells Hals und zog ihn zu sich herab, um ihn schmatzend auf den Mund zu küssen.
»Was bei den Wölfen …«, flüsterte Connen-Neute in ihren Gedanken. Damit rüttelte er Alissa aus ihrer Erstarrung, und sie erwiderte Connen-Neutes Grinsen mit einem finsteren Blick.
»Sieh dich nur an!«, schalt die mit Bändern behängte Frau zärtlich, während Strell versuchte, sich aus ihrer Umarmung zu lösen. Er wurde rot, und seine Verlegenheit ärgerte Alissa nur noch mehr. »Du hast behauptet, du wolltest fortgehen«, schimpfte die Frau. »Warst du etwa die ganze Zeit über weiter unten an der Küste? War das nur eine von deinen Geschichten, um mich loszuwerden? Asche, was ist mit deinem Finger passiert? Da fehlt ja die Hälfte! Und das hier?«, rief sie aus und strich mit einem beringten Finger über seine stoppelige Wange. »Zum Schleimaal, ein Bart? Für mich wolltest du dir nie einen wachsen lassen, du Schuft. Wo wohnst du? Ich lasse sofort dein Zimmer lüften und –«
»Lacy!«, rief Strell und drückte eine Hand auf ihren hübschen kleinen Mund. »Lass mich reden.«
Mit großen Augen betrachtete die zierliche Frau nun Alissa, Connen-Neute und Lodesh, als hätte sie jetzt erst bemerkt, dass sie zu Strell gehörten. Sie trat zurück und legte die freie Hand an ihren Hut. Diese Geste ließ sie nur noch hübscher wirken, und Alissa spürte, wie ihr heiß wurde. Strell hatte sechs Jahre an der Küste verbracht. Natürlich kannte er hier Leute.
»Lacy«, sagte Strell und zog die stolpernde Alissa vor, als wolle er sich hinter ihr in Deckung bringen. »Das ist Alissa.« Er strich sich mit der Hand übers Kinn, und ein leises Seufzen, das enttäuscht klang, entschlüpfte der Fremden. »Sie reist mit mir, ebenso wie Connen-Neute und – äh – sein Führer Lodesh.«
»Führer?«, brummte Connen-Neute in Alissas Gedanken, und sie runzelte die Stirn über Strells Vorstellung. Eine Reisegefährtin? Das war sie also?
»Gute Flut«, murmelte Lacy Alissa zu. Ihr Blick glitt von Kralle auf ihrer Schulter hinab zu dem Matsch an ihren Schuhen, die unter ihrem feuchten Rocksaum hervorlugten. Irgendetwas an ihrem Gesichtsausdruck vermittelte eine spöttische Frage, und Alissa erkannte plötzlich, dass sie sich hier auf unbekanntem Terrain befand – sie hatte keine Ahnung von den komplizierten und listigen Feinheiten der besseren Gesellschaft.
»Beständigen Wind«, erwiderte Alissa knapp, denn Strell hatte ihr am Morgen die angemessenen Grußformeln beigebracht. Sie biss die Zähne zusammen und weigerte sich, sich von dieser herausgeputzten Frau das Gefühl eingeben zu lassen, sie sei nicht gut genug.
Lacy wandte sich den beiden Männern zu. »Mögen die Hunde von Euren Fersen fernbleiben«, sagte sie förmlich zu Lodesh und Connen-Neute, während ihr Blick von Connen-Neutes Verbänden zu Lodeshs goldblondem Haar huschte.
Lodesh strahlte, trat vor und nahm ihre Hand. »Und die Wölfe des Navigators von Eurem Steg, Schiffsherrin«, sagte er und führte
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