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Alissa 4 - Die letzte Wahrheit

Alissa 4 - Die letzte Wahrheit

Titel: Alissa 4 - Die letzte Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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sich in einen Gedanken auf, richtete diesen Gedanken auf ihre menschliche Gestalt aus und ließ ihn dann Wirklichkeit werden. Im letzten Augenblick fügte sie dem ursprünglichen Muster einen zweiten Bann hinzu, damit sie beim Wiedererscheinen auch anständig bekleidet war. Wirbelnd erschien sie wieder in der greifbaren Welt, und ihre schlecht geschusterten Schuhe standen in einem großen Oval, das sie im feuchten Gras plattgedrückt hatte. Alissa richtete sich auf, als die Kühle des Frühlingsmorgens sie unsanft aus ihrer Müdigkeit weckte. Sie schlang die Arme um sich und blickte auf ihre Meistergewänder hinab.
    Sie hatte den ganzen Winter gebraucht, mehr Versuche, als sie zugeben wollte, doch schließlich war es ihr gelungen, eine weitere Gedankenform in ihrer Erinnerung zu fixieren. Mit zufriedenem Lächeln strich sie ihren bodenlangen Rock glatt. Er war längst nicht so prachtvoll wie die Gewänder, die Connen-Neute und Nutzlos erschaffen konnten, doch er entsprach dem Grundmuster, das sie als Meisterin von den Bewahrern abheben würde.
    Eine knielange, dunkelgrüne, ärmellose Weste war mit einer schwarzen Schärpe gegürtet, deren Saum ihre hässlichen Schuhe streifte. Unter der Weste trug sie den passenden grünen Rock mit einer goldenen Borte. Eine sandfarbene Bluse vervollständigte das Gewand; die Ärmel waren weit genug, um ihr als Taschen zu dienen, wenn sie das wollte. Stilisierte Efeublätter waren in den Stoff von Weste und Bluse eingewoben. Connen-Neute hatte geduldig zwei Monate damit zugebracht, sie dieses Muster zu lehren.
    Alissa presste die Lippen zusammen und strich sich mit der Hand übers Haar. Es war diesen Winter bis zur Hälfte ihres Rückens gewachsen. Strell hatte damit gedroht, Lodesh zu verprügeln, falls dieser Alissas Flehen nachgeben und ihr das Haar abschneiden sollte. Strell stammte aus der Wüste im Tiefland, wo langes Haar gleichbedeutend mit hohem Status war. Alissa war im Vorgebirge, im Hochland aufgewachsen, wo langes Haar gleichbedeutend mit unpraktisch war. So hell wie es war, ließ es sie ohnehin nicht wie eine Tiefländerin aussehen, und sie erkannte schlicht keinen Nutzen in langem Haar. Ihr ganzes Aussehen war eine skandalöse Mischung aus Hochland und Tiefland. Strell behauptete, an der Küste sähen die meisten Leute so aus wie sie, und sie wäre zu gern einmal eine Straße entlanggelaufen, ohne unliebsame Aufmerksamkeit zu erregen.
    Alissa fragte sich, wie spät es sein mochte, und bückte sich, um ihre Uhr aufzuheben, die ihr bei der Verwandlung heruntergefallen war. Metall war zu dicht, um es in einen Gedanken aufzulösen, und blieb deshalb stets unverändert. Der übergroße, schlichte Ring mit dem Loch im Ringband war zu groß, als dass sie ihn in ihrer menschlichen Gestalt am Finger tragen könnte, also ließ Alissa ihn in eine Tasche gleiten. Wenn sie den Ring an einer Schnur vor die Sonne hielt, zeigte er ihr die Uhrzeit an, denn auf der Innenseite des Bandes waren die Stunden markiert.
    Der wiederholte dumpfe Schlag einer Axt in Holz erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie legte ihre Eier in die Tasche, die sie aus ihrem weiten Ärmel formte. Sie fühlten sich angenehm schwer an, und sie bahnte sich einen Weg durch das feuchte Gras zu dem überwucherten Pfad. Nutzlos’ kunstvoll angelegte Gärten waren zu groß, als dass Alissa allein sie in Ordnung halten könnte. Zu seinen besten Zeiten hatte Nutzlos seine sämtlichen Bewahrer-Schüler hier draußen beschäftigt. Nun kümmerte sie sich allein darum, und manchmal auch Connen-Neute, wenn er Nutzlos irgendwie verärgert hatte – was nicht so oft vorkam, wie Alissa sich wünschen würde.
    Langsam und vorsichtig, um die Eier nicht zu zerschlagen, ging sie zur Küche. Das rhythmische Knacken von gespaltenem Holz wurde lauter, und zwei streitende Stimmen ließen sie innehalten. Sie lugte um die nächste Ecke des Pfades und sah Strell und Lodesh vor der Küchentür stehen und Holz für das Feuer hacken. Ihr Herz machte einen Satz, und sie zog sich in die Schatten zurück.
    Strell hatte sich bis zur Taille entkleidet. Die Morgensonne drang noch nicht bis hierher, und seine dunkle Haut schimmerte im geisterhaften Morgenlicht. Obwohl er so aussah, als sei er zu dünn und zu groß, um die schwere Axt überhaupt bewegen zu können, schwang er sie selbstsicher und präzise, und er traf die großen Scheite, die Lodesh ihm auf den Klotz stellte, mit beinahe rachedurstiger Wucht. Seine Muskeln spielten bei jedem Schlag

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