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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Hündchen nahm sie mich mit, Citronenröllchen, Marzipantorte. Das war 1935. - Ein andermal war es in Zürich, vor zehn Jahren? Kleine grüne Sesselchen. Kakao. Vor einiger Zeit meldete sich jemand mit einem Manuskript, einem Caféhausführer durch die Bundesrepublik. Der wollte eine Art Michelin für Kaffeestübchen kreieren. Sympathisch, aber aussichtslos. Ich sollte ihm einen
Verlag dafür finden und das befürworten. Meine Fürsprache endet spätestens im Büro des Herstellers. Ich habe ja noch nicht einmal meine Bio-Reihe durchsetzen können, obwohl sie zu meinem«Gesamtwerk»gehört.
    Am Abend saßen wir bei mir drüben und schauten in die Dämmerung hinaus. Einen Schwarm Stare beobachteten wir, wie er sich in die Länge zog, dann wieder zusammenklumpte. Ähnlichkeit mit einem Fischschwarm. - Dazu hörten wir Brahms’ 2. Cello-Sonate.
    Die Katholiken erinnern sich heute an Petrus Martyr , Heiliger:
     
    Als Sohn von Eltern, die als häretisch bezeichnet werden, 1205 in Verona geboren, tritt er 1221 in den Dominikanerorden ein und wird Inquisitor in Oberitalien. Durch seine erfolgreichen Predigten und seine fanatische Strenge gegen sich und andere zieht er sich den Haß der katharischen Gegner zu. Auf dem Wege von Como nach Mailand von bestellten Mördern überfallen, stirbt er 1252, von Dolchstichen durchbohrt, mit gespaltenem Schädel.

Nartum
Sa 8. April 1989
    Bild: Pfitzmann/Geburtstag mit neuen Ärzten / Kohl will Geißler loswerden
    ND: Günter Mittag sprach in Bonn mit Bundeskanzler Helmut Kohl
     
    Spaziergang in kräftiger Sonne. Veilchen, Zilla. Der Munterhund sitzt starr und steif vor einem Maulwurfshügel. Jetzt werden die Rollstühle der Opas vors Haus geschoben, Kissen nochmal eben aufschütteln …«Opa, ich komm’ gleich wieder!»
    Als ich an der Küche vorüberging, sah ich Hildegard einen blutigen Fleischklumpen in den Backofen schieben. Das muß für sie ja auch furchtbar sein. Mir jedenfalls ist der Appetit vergangen.

    TV gestern während des Abendessens: Die Toten der Franklin-Expedition im Eis, wie man sie ausgräbt. Schaurig! Und wir aßen Spaghetti dazu. Echte Opfer des Fortschritts, an falsch verlöteten Konservenbüchsen sind sie zugrunde gegangen. - Die Ausgräber hatten eine Expertin für Hosenknöpfe dabei. Das wären ganz besondere Hosenknöpfe, hat sie gesagt, die werden wissenschaftlich untersucht. Die kanadische Regierung hat ethische Auflagen gemacht: Nur so und so lange angucken und nichts mitnehmen und hinterher alles wieder anständig verschließen. Ein Priester war nicht dabei. Wenn man bedenkt, was sie mit Mumien alles anstellen, oder mit Moorleichen! Also, ich würd’ mir das schon angucken, diese Matrosen, in einem Glassarg, in Eis gepackt. Aber wahrscheinlich leben noch Urenkel, die sich das verbitten. Ich hätte nichts dagegen.
    Mit Mumien haben sie in Ägypten zeitweilig Lokomotiven geheizt, so viele gab es.
    Das unterschiedliche Interesse an Forschungsreisen: Der Wettlauf von Scott und Amundsen zum Südpol ist für die Leute faszinierender als das Auffinden der Ost-West-Passage.
    Die Vorstellung, per U-Boot unterm Eis hindurch zum Nordpol zu fahren, ist mir unerträglich.
    «Echolot»- unheimlich der Umfang. Aber«in kurz»geht das nicht. Das ist es ja gerade. Wir öffnen den Ameisenbau, und sie leben noch, die kleinen Krabbelchen. - Unter dem Elektronenmikroskop. Jedes Schicksal ist einmalig. Vor dem Schlimmen, das man da zu hören kriegt, schreckt man nachts hoch. Aber, nur cool, nur geschäftsmäßig-wissenschaftlich herangehen an die Sache, das liegt mir nicht. Ich gehöre nicht zu den Anatomen, die neben der exhumierten Leiche ihr Frühstücksbrot essen, bzw. Spaghetti.
    Ein Besucher mit all meinen Büchern zum Signieren. Wie er an Kempowski geraten sei? Er habe ein Buch für seine Mutter kaufen wollen, und da habe ihm der Buchhändler etwas«Leichtes»empfohlen:«Aus großer Zeit»von Kempowski. -«So viele Gedanken! »sagte er, in den«Hundstagen»seien so viele Gedanken enthalten.

    Ich:«Hundstage»ist ein ziemlich dickes Buch, nicht wahr?
    «Ihre Bücher können gar nicht dick genug sein.»So was versöhnt. Stille Stunden. Das rieselt so.

Nartum
So 9. April 1989
    Welt am Sonntag: Russisches Nuklear-U-Boot gesunken /Atomseuche? Norwegischer Katastrophenstab schließt Kernschmelze und Verstrahlung nicht aus
    Sonntag: Zur Individualität ermutigen. Schule und Gesellschaft. Von Dieter Kirchhöfer
     
    Ein russisches Atom-U-Boot ist vor der Bäreninsel

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