All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
munter flackerndes Feuerchen, alte, aber noch gute Sessel und Tische, hübscher cremefarbener Leinenstoff und Hussen mit Tulpenmuster – alles sah recht einladend aus, doch offenbar lauerten auf den, der sich nicht vorsah, überall Gefahren.
»Gerade habe ich frischen Kaffee gebrüht.« Silbertablett und Kaffeeservice standen auf einem niedrigen Tisch vor dem Sofa, aus dem Schnabel dampfte es. Sahne, Zucker und kleine Kuchen standen bereit. Alles wirkte recht unbedrohlich.
»Vorsichtig mit dem Kaffee. Der ist heißer, als man denkt. Sahne? Zucker?«
Jury lehnte Sahne und Zucker dankend ab und nahm Porzellantässchen und Untersetzer behutsam in die Hand. »Danke.« Der Kaffee war nicht heißer, als Kaffee sein sollte. Sie musterte ihn wachsam, als wäre sie darauf vorbereitet, den Notarzt zu rufen, falls er beim ersten Schluck hinterrücks umfiel. Dann sagte er: »Sie haben wahrscheinlich von dieser Mordserie in London gehört?«
»Ja. Sie wollen mit mir über Kate Banks sprechen, nicht wahr?« Als sie sie abstellte, meinte er, ihre Tasse gegen das Untertellerchen klappern zu hören. »Sie war eine meiner besten Schülerinnen. Es ist mir furchtbar nahegegangen, als ich es gelesen habe. Ich konnte es einfach nicht glauben. Warum ausgerechnet…« Sie schüttelte den Kopf, presste die Lippen aufeinander, als wollte sie Gefühle zurückhalten, die sie zu überwältigen drohten.
»Sie halten es für unwahrscheinlich, dass ihr etwas Derartiges zustoßen könnte?«
»Natürlich. Sie war allgemein beliebt auf der Schule. Roedean, meine ich. Wirklich, sie war ein bemerkenswerter Mensch.« Miss Husselby stand auf und trat an den Kamin. »Ach, dieses Feuer, erst ist es unglaublich faul, und dann schießt es plötzlich hoch!« Sie stocherte in den widerborstigen Scheiten herum, die brannten, wie es ihnen gerade passte. In Miss Husselbys Welt wollte nichts kooperieren.
Nachdem sie sich wieder hingesetzt hatte, sagte Jury: »Bitte erzählen Sie weiter von Kate.«
»Sie war sehr klug, intelligent, so ein guter Mensch und, wie ich schon sagte, allgemein beliebt. Sie gehörte zu den Menschen, die Streitigkeiten schlichten können, vermittelnd eingreifen. Die Mädchen hatten Vertrauen zu ihr, und das zu Recht.« Miss Husselby nippte an ihrem Kaffee, lehnte sich dann zurück. »Schade, dass ihre Mutter so flatterhaft war. Unzuverlässig. Das genaue Gegenteil von ihrer Tochter. Kate war wie ein Fels in der Brandung. Auch wenn sie noch so jung war, Kate war eine richtige Stütze.«
Jury sagte: »Da war noch ein anderes Mädchen, eine Freundin von ihr, glaube ich. Crystal North.«
»Ach, Crystal.« Ihr veränderter Tonfall deutete darauf hin, dass Crystal North ein völlig anderes Paar Stiefel war. »Ich weiß nicht, ob ich die als Kates ›Freundin‹ bezeichnen würde, obwohl sie es bestimmt sein wollte. Sie wollte ihre beste Freundin sein – ich glaube, sie wollte am liebsten Kate sein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Kate mochte sie nicht besonders. Aber Crystal bekam gewöhnlich, was sie wollte. Leider konnte sie Zurückweisung gar nicht ertragen. Und Rücksicht auf andere nahm sie schon gar nicht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß noch, einmal hat sie bei einer Prüfung geschummelt. Hat die Antworten vom Blatt ihrer Nebensitzerin abgeschrieben. Das betreffende Mädchen kam danach zu mir. Es lief darauf hinaus, dass eine von ihnen abgeschrieben haben musste, aber welche? Der Tutor bevorzugte Crystal. Crystal verstand es unheimlich gut, die Leute zu manipulieren, müssen Sie wissen. Der Tutor stellte ihnen ein Ultimatum: Wenn keine von ihnen die Schummelei zugab, müsste er beide durchfallen lassen. Und Crystal ließ es geschehen. Sie wäre sowieso durchgefallen, sie hatte also nichts davon, die Wahrheit zu sagen. Es ist eins, eine Dummheit zu machen. Aber etwas ganz anderes, einen Unschuldigen dafür büßen zu lassen.«
Jury fiel der Zebrastreifenüberweg ein. Die Hand, die sich ausstreckte, um den Verkehr anzuhalten. Der Wagen, der nicht rechtzeitig bremsen konnte. Die Fehlgeburt.
»Da war dieser Junge hier in Brighton«, fuhr Miss Husselby fort. »Mit dem ging Crystal damals. Er war der einzige Sohn eines Obst- und Gemüsehändlers, hatte überhaupt kein Geld, wogegen die Norths, Crystals Familie – nun ja, eine ganze Menge hatten. Ich wunderte mich, dass Crystal sich so zu ihm hingezogen fühlte, aber so war es. Ein reizender Bursche. Ich habe dort immer mein Gemüse gekauft. Reizend und gut
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