All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman

allmählich zu langweilig hier. Ich weiß gar nicht, wieso ich den ganzen Abend damit verbringen soll, über Stacy Storm zu reden.«
    »Müssen Sie gar nicht. Entweder hier oder später auf dem Revier.«
    Ihr Blick verhärtete sich. »Es war gar keine Verabredung, stimmt’s, jedenfalls keine richtige? Sie wollten mich bloß aushorchen.« Sie zog das Schultertuch um sich und beugte sich näher zu ihm hin. »Als Nächstes behaupten Sie noch, ich hätte was mit ihrer Ermordung zu tun, was?«
    »Nein, Sie waren ja in London. Keine Sorge, wir haben Ihr Alibi überprüft.«

    Wie selbstzufrieden sie dabei aussah. Jury musste fast lachen.
    »Sie glauben also nicht, dass ich in meinen Manolo Blahniks nach Chesham gerannt bin, um sie zu erschießen? Wie schön für Sie. Und schönen Dank auch für die Drinks.« Sie glitt vom Barhocker und ging quer durch den Klub davon, der sich inzwischen zusehends füllte.
    Jury nahm von ihrem Abgang jedoch kaum Notiz.
    Manolo Blahniks?
     
    Während er in Richtung U-Bahnstation Green Park ging, bimmelte sein Handy, und er spielte mit dem Gedanken, es vor dem Mayfair Hotel hinzuschmeißen und kaputt zu trampeln.
    Wie kindisch! »Jury.«
    »Ich bin’s«, sagte Wiggins. »Ich habe jetzt doch jemanden mit einer Verbindung zu Roedean aufgetan. Hat vor zwanzig Jahren dort unterrichtet und erinnert sich an ›ihre Mädels‹, wie sie sie nannte. Speziell an Kate Banks. Shirley Husselby heißt sie. Wollen Sie die Adresse in Brighton?«
    »Ja.«
    Wiggins gab sie ihm. »Sie fahren also hin?«
    »Gleich morgen früh. Danke, Wiggins.«
    Jury trampelte sein Handy doch nicht kaputt. Gnadenfrist.

57. KAPITEL
    Wie kam es, dass solche Orte sich nie veränderten? Überaus angenehm war das, dachte er, während sein Blick über den Kieselstrand in Richtung Meer wanderte. Es schien, als wäre die Zeit angehalten worden.
    Er machte kehrt und ging am Meer entlang die King’s Road hinunter. Vor Jahren war er wegen eines Falles einmal hier gewesen, eines der traurigsten seiner Laufbahn. Aber waren sie nicht alle traurig?
    Jury hatte keine Schwierigkeiten, das Haus zu finden, das sich an einer schmalen Straße gleich beim Madeira Drive befand, mit weitem Blick aufs Meer. Es war eines von mehreren Reihenhäusern, die Hausnummern alle in gleicher Weise und gut sichtbar auf den weißen Pfosten angebracht. Er betätigte den Türklopfer in Delfinform und fragte sich dabei, was Delfine als Türklopfer eigentlich so beliebt machte. Er hörte, wie jemand sich näherte, dann leises Geschimpfe auf der anderen Seite der Tür, bis diese schließlich heftig aufgerissen wurde.
    Die Frau, die sie aufgerissen hatte, schon älter, recht zierlich, musste Shirley Husselby sein. Sie war es, die Wiggins aufgetrieben hatte. Er holte seinen Dienstausweis hervor. »Superintendent Richard Jury. Mein Sergeant hatte angerufen?« Er wusste auch nicht, wieso er es als Frage aussprach. Vielleicht, um dieser kleinen Frau die Gelegenheit zu geben, zu sagen: »Ich glaube nicht.«
    »Ah ja. Tut mir leid, dass ich nicht gleich aufmachen konnte. Die Tür hier hat nämlich ihre Mucken.« Sie versetzte ihr einen leichten Tritt. »Sie sehen gar nicht aus wie ein Superintendent.
Ich habe mir einen kleinen, stämmigen, grauhaarigen Mann vorgestellt, mit einem Blinzeln.«
    Jury dachte an Racer und musste schmunzeln.
    »Kommen Sie doch herein.« Sie streckte den Arm aus und komplimentierte ihn herein. »›Superintendent‹… das ist doch ein sehr hoher Rang bei der Polizei für einen, der noch so jung ist.«
    »Ich? Ich bin überhaupt nicht jung, ich bin …«
    Den Finger auf den Lippen, brachte sie ihn zum Schweigen. »Verraten Sie den Leuten nie Ihr Alter, Superintendent. Geht doch keinen was an. Das mache ich nie. Na, jedenfalls sehen Sie jung und stattlich aus. Bitte« – wieder streckte sie den Arm aus in Richtung Wohnzimmer – »gehen Sie schon mal durch, aber Vorsicht bei dem Läufer! Da bleibt man gern mit dem Absatz an den Fransen hängen und fällt der Länge nach hin.«
    Jury dankte ihr für die Warnung. Die Fransen hielten still.
    Im Wohnzimmer wurde er gewarnt, sich nur ja nicht in den Sessel links vom Kamin zu setzen, wenn er nicht ordentlich gezwickt werden wollte. »Die Sprungfedern in dem Sessel da, die haben es in sich. Da weiß ich nie, was die im Schilde führen. Setzen Sie sich einfach neben mich aufs Sofa, das wird sich schon anständig betragen.«
    Jury sah sich in dem völlig normalen, sehr gemütlich wirkenden Zimmer um: ein