All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
Licht? Womöglich gab Carol-Anne dort gerade einem Raum voller Mexikaner Salsaunterricht. Er bezahlte den Fahrer, gab ihm ein stattliches Trinkgeld.
Während das Taxi davonfuhr, kam Jury wieder der am Tatort zurückgelassene Kassenzettel in den Sinn. Er schüttelte den Kopf.
Seitens des Schützen war das ein Riesenfehler gewesen. Wer auch immer es getan hatte, hätte es lieber bleiben lassen sollen.
In puncto Carol-Anne hatte er recht. In puncto Mexikaner irrte er sich. Sie unterhielt sich gerade mit Dr. Phyllis Nancy, die beiden standen in seinem Wohnzimmer.
O Mann – er hatte es schon wieder vergessen!
Doch sie lächelte ihm entgegen. So war Phyllis. »Wer«, sagte sie, »hat schon Lust, im Ivy zu essen, wenn es sich auch hier speisen lässt? In charmanter Atmosphäre, mit lauschiger Beleuchtung, Einrichtung im frühen Detektivstil.«
»Das meint sie jetzt als Witz«, erklärte Carol-Anne.
»Phyllis, tut mir ja so leid.« Er wandte sich an Carol-Anne. »Ich freue mich, zu sehen, dass Sie sich mit Dr. Nancy bereits bekannt gemacht haben. Wer von Ihnen war denn zuerst hier?«
»Na, ich. Musste ihr ja schließlich aufsperren, oder?« Carol-Anne hörte sich verdrossen an. Kein Wunder. Jury würde das noch wochenlang von ihr zu hören bekommen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging in die Küche. »Sie hat Essen mitgebracht: Würstchen und Eier, Käse, Brot und auch Rotwein. Gut. Da kann ich ein schönes Bauernfrühstück zaubern.« Sie erschien wieder an der Küchentür. »Ist das okay, Super?«
»Sollten Sie nicht Phyllis fragen, ob es für sie okay ist?«
»Ist es. Sie hat das Essen ja mitgebracht.«
Phyllis sagte: »Klar ist es okay, vorausgesetzt, Sie übernehmen die Kocherei.«
»Gut«, sagte Jury. »Dann setzen Phyllis und ich uns hierher und trinken Wein. Hört sich gut an.«
Carol-Anne schien ihre Selbstverpflichtung zum Küchendienst noch einmal zu überdenken. »Ich nehme dann zwischen dem Würstchenwenden auch einen Wein.«
Jury holte Gläser aus einem alten Schrank, den er im Kriegsmuseum bei einem Ausverkauf von Sachen aus dem Zweiten Weltkrieg erstanden hatte. Darin hatte man ursprünglich Waffen aufbewahrt, was ihn faszinierte. Er stellte die Gläser auf das Sofatischchen und sah Phyllis an. »Wirklich sehr lieb, Phyllis.«
»Ja, das war wirklich aufmerksam«, rief Carol-Anne aus der Küche herüber. »Ich hatte den ganzen Tag vor, Eier und Würstchen zu kaufen, Röstkartoffeln auch. Röstkartoffeln haben Sie
aber gar keine mitgebracht.« Auf diesen wunden Punkt in der Speisenfolge hinweisend, kam sie mit der Flasche Wein herein.
»Sie haben recht«, sagte Phyllis. »Ich hätte dran denken sollen.«
»Vielleicht besser so. Ich muss auf mein Gewicht achten.« Sie taxierte Phyllis, die nicht auf dem Sofa saß, sondern in einem Sessel, was Anlass für Spekulationen über ihre Beziehung zu Jury bot.
Phyllis bemerkte es und lächelte.
Jury war klar, dass dieser kleine Akt der Großzügigkeit seitens von Phyllis aber eigentlich über Carol-Annes Auffassungsgabe hinausging. Sie würde es nicht begreifen, geschweige denn sich selbst so verhalten. Jury schenkte drei Gläser ein.
Carol-Anne sagte: »Das ist aber was Feines. Letzthin im Mucky Duck hatte ich auch ein Glas.«
Da es sich um Wein in einer Mehrliter-Ballonflasche handelte, war Jury nicht überrascht, dass das Mucky Duck ihn im Sortiment hatte. »Vielleicht sollte ich Trevor den mal verkosten lassen.«
»Wer ist Trevor?«, wollte Carol-Anne wissen und nahm einen Schluck Wein.
»Der ist im Shades für den Wein zuständig. Weiß alles darüber.«
»Wirklich schön, der Tropfen. Ich will natürlich nicht behaupten, ich sei Expertin. Wie Trevor.«
Jury lachte. Für Carol-Anne konnte eine Unterhaltung das reinste Minenfeld sein. Es war so leicht, einen Fuß falsch zu setzen.
»Wie war Brighton?«, fragte Phyllis. »Hat es sich gelohnt?«
Carol-Anne, die zu ihrem Verdruss das mit Brighton nicht wusste, ging zurück in die Küche und tat, als wäre es ihr piepegal.
»Auf jeden Fall«, erwiderte Jury. »Bloß dass ich unser Rendezvous verschwitzt habe«, fügte er sotto voce hinzu.
Und sotto voce gab Phyllis zurück: »Wir haben es aber doch gerade.«
Aus der Küche ertönte furchtbares Geklapper, als würde ein halbes Dutzend Topfdeckel über den Fußboden rollen.
»Sorr-ii!«, kreischte Carol-Anne und streckte den Kopf aus der Küchentür. »Die Bratpfanne ist mir runtergefallen!« Der Kopf verschwand wieder.
Jury
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