All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
alte Rattanstühle mit gedrechselten oder spindelförmigen Beinen aus, möglicherweise wertvolle Antiquitäten.
So weit also der vordere Raum – Empfangszimmer (für den Gatten) oder Wohnstube (für die Gattin). Bei ihr konnte Jury einen südenglischen Akzent ausmachen, bei ihm einen aus dem Norden. Ziemlich weit nördlich, womöglich Nord-Newcastle. Er klang wie Jurys angeheirateter Cousin, Brendan. Hier hatte jemand Geld, dachte er.
Die Schuhe befanden sich in einem kleinen Salonzimmer mit großem rundem Tisch und vier bequemen Ahornholzstühlen. Der Raum hätte auch als Esszimmer dienen können, nur eben mit einer Wand voller Schuhe statt Wein. Jury schmunzelte.
»Ich wusste, es war Jimmy Choo«, sagte sie, »auch ohne das Etikett zu sehen.«
Es fiel Jury schwer, Cummins zum Vorwurf zu machen, dass er ein Polizeifoto aus dem Revier mitgenommen hatte, denn Chris würde ja wohl nie ein Paar dieser Schuhe zu einer Polizeifeier tragen, zum Teestündchen im Ritz oder unterwegs im Eurostar nach Paris. Oder zum Skifahren in den Alpen. Denn Chris saß im Rollstuhl. In einer Zimmerecke, wo die Skier an der Wand gelehnt hätten, standen stattdessen Krücken.
Sie bemerkte seinen Blick, sah selbst zu den Krücken hinüber und sagte: »Ich fürchte, mit denen komme ich noch nicht ganz klar. Schaff ich aber noch.« Ihr Tonfall war überaus traurig, was sie jedoch rasch überspielte, indem sie zu der Schuhkollektion hinüberrollte. Von ihrem Rollstuhl aus griff sie in ein mittleres Wandfach und nahm einen hochhackigen Schuh herunter, ein glitzerndes, hautfarbenes, fantastisches Ding, paillettenbesetzt und zehenfrei. »Christian Louboutin. Der ist mein Lieblingsdesigner.« Eigentlich richtig schön, dachte Jury.
»Sehen Sie hier die Sohle?« Sie tippte mit dem Zeigefinger daran. Dann zog sie noch einen hervor, diesmal aus schwarzem Wildleder, bei dem das Oberleder aus einem in sich verschlungenen Material bestand, das sich wie ein Lattengitter am Knöchel hoch und darüber zog. »Rote Sohlen, immer sind sie rot«, sagte sie. »Ich finde das clever. Es ist sein Markenzeichen – von Louboutin.«
»Die sehen ziemlich kostspielig aus.«
»Kostspielig, o ja, das sind sie wohl.« Sie schob die schwarzen und paillettenbesetzten Exemplare wieder an ihren Platz und zog ein anderes hervor, eine mit Schmucksteinen besetzte Riemchensandale. »Über tausend Pfund, die hier.«
Ihr Gatte zuckte gequält zusammen. »Meine Güte, Chris, der Superintendent wird noch denken, ich wäre auf Raubzug gewesen.«
»Was denn für ein Raubzug? Gibt’s hier in Chesham denn was Rechtes zu rauben? Hier gibt’s nichts zu rauben.« Sie schob den rot besohlten Schuh wieder zurück und seufzte. »Dieser Mord ist das Aufregendste, was wir in der ganzen Zeit hatten, seit wir hier sind.«
»Wie lange sind Sie denn schon hier?«
David Cummins streckte seine langen Beine aus, zog sie dann aber rasch wieder an. Es war, als wollte er vor seiner Frau nicht die Aufmerksamkeit auf seine vollkommen funktionsfähigen Beine lenken.
Sie hatte es sowieso nicht bemerkt, saß in ihrem Rollstuhl und trank Tee.
»Knapp drei Jahre. Vorher war ich ganz gewöhnlicher Polizist. In South Kensington. Ich glaube, ich hatte sehr viel mehr für London übrig als Chris …«
»Das glaube ich auch«, sagte Chris mit einem leisen Lachen. »Für einen Rollstuhl war es nicht so ganz das Richtige.«
Ihre Stimme klang nicht verbittert, aber doch vielsagend.
Und sein Gesichtsausdruck erinnerte auf merkwürdige Weise
an den von Bobby Devlin, als würde auch David Cummins eine Sprache vermissen, die ihm einst viel bedeutet hatte.
Von dem Taxifahrer, der Mariah Cox chauffiert hatte, erfuhr Jury auch nicht mehr als von Cummins selbst. Der hatte ein Treffen auf dem Polizeirevier in Chesham in die Wege geleitet.
»Aufgedonnert wie ein Schlachtschiff war die, also, ich hab mir gleich gedacht, dass die zu der Protzparty im Deer Park House will. Hatte schon ein paar andere Fahrgäste dorthingefahren. Ich war also’n bisschen überrascht, wie die was vom Black Cat sagte. Bis vor die Tür komm ich nich bei dem Pub, hab ich ihr natürlich gleich gesagt. Da sind vorne ja die Straßenarbeiten. Jetzt nich mehr, aber paar Tage lang war das vielleicht ein Durcheinander, alles Umleitung und im Pub tote Hose, aber wie die in den hohen Absätzen laufen konnte …« Er schüttelte den Kopf, und mehr kam nicht.
Auf dem Weg zum Zug erzählte Cummins dann Jury die Sache mit Chris. »Es
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