All the lonely people
dass Sie sich nicht souverän sagen: »Na, mein Chef kann ja auch nicht alle im Auge haben« oder »Die pubertierenden Jungs müssen sich wohl profilieren«. Wahrscheinlicher ist es, dass Sie im inneren Fahrstuhl blitzschnell gefühlsmäßig in Ihre Kindheit zurückrauschen. Halb unbewusst schießen Ihnen Gedanken durch den Kopf: Keiner liebt mich, keiner mag mich, ich bin unattraktiv, ich bin ausgeschlossen, ich bin falsch. Prompt fühlen Sie sich schlecht, voller Wut oder Scham. Wahrscheinlich ziehen Sie sich in Ihr inneres Schneckenhaus zurück.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
D ie Vergangenheit ist eben nicht Schnee von gestern. Was wir damals an Verletzungen erlebt haben, ist mehr als eine bloße Erinnerung, die wir heute beliebig hervorholen oder wieder in der Versenkung verschwinden lassen können. Sie sind uns zu einer Zeit zugefügt worden, in der wir uns noch in unserer körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung befanden. Während dieser sensiblen Phase hat sich das Muster herausgebildet, nach dem wir uns selbst und die Welt beurteilen.
|37| Sobald Sie eine Sonnenbrille mit blau getönten Gläsern aufsetzen, sehen Sie Ihre Umgebung in einem kühlen Farbton, obwohl der Sommer die Landschaft in warmes Gelb taucht. Ähnlich liefert uns unsere Vergangenheit die Brille, mit der wir sämtliche neuen Erlebnisse anschauen. Sie können sich ausmalen, wie eine Welt aussieht, die durch die Brille »Ich bin nicht liebenswert«, »Ich muss es allen recht machen« oder »Nur keine Schwäche zeigen, sonst bist du verloren« betrachtet wird.
Unsere Sichtweise beeinflusst auch unsere Erwartung. Wir rechnen vorab schon fest damit, dass man uns ablehnt, dass wir gedemütigt oder beschämt werden, dass Männer uns ausnutzen, dass Frauen mit uns nichts zu tun haben wollen, dass man uns langweilig findet, dass wir uns nicht durchsetzen können, dass wir vorsichtig sein müssen, dass wir lieber Risiken vermeiden.
Damit behindern wir uns und setzen gleichzeitig eine Wechselwirkung in Gang. Unbewusst manipulieren wir die anderen, uns so zu sehen und zu behandeln, wie wir selbst es tun. Schließlich bekommen wir genau das, was wir erwarten. Auf diese Weise erneuern wir regelmäßig die Verletzungen unserer Kindheit. Wir denken, fühlen und handeln bis in die Gegenwart nach dem Muster, das wir seinerzeit gelernt haben. Wir machen uns damit selbst einsam.
Veränderung setzt beim alten Muster an
W enn Sie Ihre aus frühen Quellen gespeiste Einsamkeit ändern wollen, dann müssen Sie dieses Muster erforschen. Das funktioniert allerdings nicht nur über den Verstand. Ich kenne eine Menge Leute, die sich psychologisches Wissen angeeignet haben, ohne in ihren Gefühlen berührt worden zu sein – mit dem Effekt, dass sie das psychotherapeutische Vokabular bestens beherrschen. Sie reden souverän über ihren Ödipuskomplex, ihre Mutterproblematik oder ihre narzisstische Störung. Aber geändert hat sich bei ihnen nichts. Eine echte Lösung ist erst dann möglich, wenn wir nicht nur intellektuell verstehen, sondern auch mit unserer ganzen Persönlichkeit
erleben
, was uns damals geschehen ist und uns heute noch bestimmt.
|38| Wie kommen Sie an diese Gefühle heran? Das ist nicht so schwer, wie Sie vielleicht glauben. Sie besitzen nämlich – wie wir alle – einen zuverlässigen inneren Führer, der Ihre Vergangenheit mit Ihrer Gegenwart verbinden kann: Das Kind in Ihnen.
Ich bin viele
V ermutlich haben Sie schon bei sich selbst und anderen festgestellt, dass unsere Persönlichkeit mehr als nur eine einzige Seite besitzt. Ein Beispiel dafür ist die Karrierefrau, die sich in der Firma energisch durchsetzt, im privaten Umgang mit Männern dagegen zaghaft und abhängig erscheint. Oder der Arzt, der mit seinen Patienten äußerst fürsorglich umgeht. Sobald jedoch ein Familienmitglied krank ist, raunzt er genervt: »Stell dich doch nicht so an!«
Wir haben eben viele verschiedene Facetten in uns: Wir können sensibel und dickfellig sein, zart und hart, hilflos und sicher, kreativ und ohne Ideen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Alle Seiten lassen sich auch als »Persönlichkeitsanteile« bezeichnen. Wenn wir wollen, können wir diesen Anteilen einen symbolischen Namen geben, etwa der »Organisator« oder die »Perfekte«, die »Zicke« oder der »Antreiber« in uns. Eine Personifizierung einzelner Anteile hilft uns, sie leichter zu erfassen. Ein solcher Persönlichkeitsanteil ist auch das »innere Kind«. Es
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