All unsere Traeume - Roman
danach, bemuttert zu werden, nach Umarmungen und dem Austausch mädchenhafter Vertraulichkeiten. Sie sah Romily überhaupt nicht ähnlich und wurde von dieser mit zerstreuter Zuneigung behandelt. Als wäre Posie eine rare biologische Spezies, die Romily faszinierte, die sie aber nicht recht einordnen konnte.
Es gab heimliche Momente, wenn Posie bei ihnen schlief, in dem Raum, den Ben und sie als Posies Zimmer bezeich neten, eingerollt unter der Steppdecke, die Claires Groß mutter gemacht hatte. Oder wenn sie Claire mit einer stürmischen Umarmung und einem Kuss begrüßte. Oder wenn Claire ihr ein Taschentuch reichte, oder wenn Posies Hand sich von selbst in Claires schob. In diesen heimli chen, intimen Momenten tat Claire manchmal so, als wäre Posie ihr Kind.
Es schadete niemandem. In Wirklichkeit wusste Claire, dass sie sich nicht gestatten durfte, Posie zu sehr zu lieben. Es wäre nicht ratsam, sie so sehr zu lieben, wie sie ihr eigenes Kind lieben würde – nicht von ganzem Herzen. Nicht wenn Posie morgens, nachdem sie bei ihnen geschlafen hatte, mit Romily nach Hause fuhr.
Claire kannte Posie. Sie liebte Posie. Und dennoch war Posie Romilys Körper entsprungen. Und jetzt bot Romily Ben und Claire ihren Körper an, als wäre er ein Fahrrad, das man sich kurzzeitig leihen und dann wieder zurückgeben konnte.
»Ich begreife nicht, wie sie nur daran denken kann«, wiederholte sie, als Helen vom Streitschlichten zurückkehrte. »Es wäre eine Riesenverpflichtung.«
»Ich wünschte, es wäre mir eingefallen«, seufzte Helen. »Ich könnte es nicht tun, nicht nach all den Problemen, die ich mit Sarah hatte. Aber ich wünschte, es wäre mir eingefallen. Ich wünschte, ich hätte es angeboten.«
Sie sah traurig aus, und Claire umarmte sie. »Sei nicht dumm. Es ist lieb, dass du das sagst, aber du könntest es unmöglich tun.«
»Es hätte viele Probleme gelöst.« Helen zuckte mit den Schultern. »Was soll’s, es ist sinnlos, jetzt darüber nachzudenken. Aber wenn diese Romily gesund und dazu bereit ist, solltet ihr es vielleicht probieren. Zumindest ist sie eine bekannte Größe, stimmt’s? Ihr wisst, dass sie gute Gene hat – sie ist ziemlich klug, oder nicht? Ihr wisst, dass sie ein Kind zur Welt bringen kann. Ihr mögt ihre Tochter. Ihr wisst, dass sie nicht wegzieht.« Sarah kam in die Küche getapst, und Helen brach einen Keks entzwei und gab ihr die Hälfte. »Ihr wisst viel mehr über sie, als ihr über eine anonyme Eizellenspenderin wissen würdet oder über eine andere Leihmutter. Oder über die Eltern eines Kindes, das man adoptiert.«
»Aber es ist die Art, wie Ben die Sache angegangen ist, ohne mir auch nur etwas davon zu sagen.«
»Er ist verzweifelt. Das seid ihr beide.«
War es so offensichtlich? Claire sah sich in der modernen Küche ihrer Schwester um, die nur dank der Plastiktischdecke und der Kinderzeichnungen am Kühlschrank nicht minimalistisch wirkte. Seit Joshs Geburt vor vier Jahren war sie kaum je hier gewesen.
»Was würde Mum sagen?«, fragte sie stattdessen.
Ihre Schwester lächelte.
»Ach herrje, das ist ein ganz anderes Thema. Sarah, nicht essen, du hast es eben auf den Boden fallen lassen!«
Bausteine
V or Monaten hatten sie versprochen, mit Posie und Romily in der ersten Woche der Osterferien Legoland in Windsor zu besuchen. Am Vorabend lag Claire im Bett, den Kopf an Bens Brust.
»Und wenn sie es sich anders überlegt hat?«, fragte sie.
»Das hat sie nicht. Wenn Romily sich einmal entschieden hat, überlegt sie es sich nicht anders.«
»Im Gegensatz zu mir.«
Er strich ihr über die Haare. »Ich bin die Sache falsch an gegangen. Ich hätte dich damit nicht so überrumpeln sollen.«
»Über mein Leben wird nicht mehr im Pub entschieden, okay?«
»Einverstanden. Aber du möchtest doch, dass wir es tun, oder, Claire?«
Wochenlang hatte sie kaum etwas anderes im Kopf gehabt. Die große Ruhe, die sie an jenem Tag unter dem Birnbaum verspürt hatte, war verschwunden. Sie hatte sich damals ruhig fühlen können, weil es keine Hoffnung mehr gab, doch jetzt war da diese neue Möglichkeit. In Gedanken ging sie alles bis ins kleinste Detail durch: Vorteile, Nachteile, Rechtsfragen. Sie hatte im Internet Leihmutterschaftsforen besucht, um die Erfahrungsberichte der Frauen zu lesen. Sie hatte viele glückliche Geschichten gefunden und ein paar traurige. Es gab viele Paare, die eine Leihmutter suchten und noch keine gefunden hatten. Sie kannte die Verzweiflung nur zu
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