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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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würde es gern meiner Frau zeigen.«
    »Natürlich. Möchten Sie auch eine, Romily?«
    »Nein danke.«
    »Es ist so winzig«, sagte Ben, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf ihn, nicht den Bildschirm. Sie hatte ihn noch nie derart verzückt gesehen. So verliebt.
    Genau jetzt, genau in diesem Moment betrachtete Ben also ihr Baby. Er blickte in Romilys Körper hinein und sah, wie sein Kind Gestalt annahm.
    In dem leeren Klassenzimmer entfernte Claire Werke der Schüler von den Anschlagbrettern und ersetzte das verblasste bunte Hintergrundpapier durch ein neues Blatt von der Rolle. Eigentlich war die Arbeit überflüssig. Die Aushänge waren nicht allzu alt und mussten genau genom men noch nicht ausgewechselt werden. Allerdings hatte sie auf diese Weise etwas zu tun.
    Sie hatte schon Ultraschalluntersuchungen gehabt. Sehr viele, um nachzusehen, was sich in ihr befand. Um nachzusehen, was los war.
    In den schematischen Darstellungen der weiblichen Fortpflanzungsorgane war alles klar und ordentlich: Eierstöcke, zweimal Eileiter, sanft geschwungene Gebärmutter, im Körper eingebettet. Bei den Ultraschalluntersuchungen sah es aus, als bestünde sie aus einem Mahlstrom aus Wolken. Chaotisch und unvollkommen. Sie hatte keine ihrer Körperteile identifizieren können, aber genickt, als die Ärztin die Namen nannte.
    Sie heftete das Papier an das Anschlagbrett, ordentlich, alle zehn Zentimeter eine Heftklammer. Ein dumpfer Schlag nach dem anderen.
    »Hey, Mrs. Lawrence, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich zum Üben reinkomme?« Max lungerte an der Tür herum, seine Gitarre in der Hand.
    »Max? Natürlich nicht, komm rein.« Er betrat das Klassenzimmer und ging auf einen Hocker in der Ecke zu. »War kein Übungsraum frei?«
    »Mir war nicht danach, allein zu sein, also habe ich mir gedacht, ich seh mal nach, ob Sie hier sind.«
    »Solange dir das Geräusch meines Hefters nichts ausmacht.«
    Er schüttelte den Kopf und beugte sich über seine Gitarre. Claire sah ihm einen Augenblick zu, während er sich mit ein paar Akkorden einspielte. Seine schmalen Finger hielten das Instrument, als wäre es ein Teil von ihm. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass er zwar Gesellschaft haben, jedoch nicht beobachtet werden wollte. Folglich wandte sie sich wieder ihrem Anschlagbrett zu.
    Früher einmal war es ihr mit Musik auch so gegangen. Sie ergriff jede Gelegenheit zu musizieren, sich zu verlieren, den Noten zu folgen, ohne auch nur an ihre Finger oder die Partitur oder an alles mögliche andere zu denken. Ihr Vater neckte sie gern und sagte, sie werde nie einen Mann finden, wenn sie die ganze Zeit mit Klavierüben zubrächte.
    »Ich brauche keinen Mann«, hatte sie ihm entgegnet. Er hatte gelacht, als wüsste er es besser.
    Ihre Mutter sprach davon, dass sie Konzertpianistin werden und durch die Welt reisen sollte, doch daran lag Claire auch nichts. Wichtig war nur die Musik. Nicht Jungs, nicht Geld, nicht die Welt.
    Und dann war sie Ben begegnet.
    Sie warf einen Blick auf Max, der völlig in sein Tun versunken war. Er war zu einer ruhigen, langsamen Akkordfolge übergegangen, mit dem sanften Rhythmus eines Wiegenliedes. Es war etwas Teenagerhaftes, dieses Versunkensein. Im Erwachsenenalter konnte man es sich nicht mehr leisten. Ganz egal, wie wunderschön die Musik war, gab es da immer noch die Hypothek und die übrigen Rechnungen. Die Wäsche und den Garten. Die Zeugnisse, die geschrieben werden mussten, den Unterricht, der vorbereitet werden musste, die unzähligen kleinen Aufgaben und Ärgernisse, die einem die Hände banden.
    Die andere Frau, die ein Baby von deinem Mann bekam.
    Als sie mit dem Hintergrundpapier fertig war, schnitt sie gewellte Streifen, um die Ränder zu verzieren. Sie hatte ein paar Fotos vom Herbstkonzert, die sie zum Aufhängen ausgedruckt hatte. Vielleicht würde sie auch ein paar Zeichnungen der siebten Klasse hinzufügen – die Bilder, die sie angefertigt hatten, während sie Mendelssohn hörten. Ein paar waren ganz bezaubernd, launenhaft wie die Musik. Claire ging zum Aktenschrank, um sie herauszusuchen. Beim Durchblättern bemerkte sie, dass sie vor sich hin summte: eine ruhige, langsame Akkordfolge.
    Sie sah Max genau in dem Augenblick an, in dem er zu ihr aufschaute. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Er hatte sie gehört.
    »Hast du dir das selbst ausgedacht?«, fragte sie ihn. »Es ist schön.«
    »Es ist noch nicht fertig.« Er senkte den Blick wieder auf seine Gitarre und sah dann

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