All unsere Traeume - Roman
Du bist sehr gut.«
»Was die betrifft, könnte ich genauso gut mit einem Mülleimerdeckel musizieren.«
»Jemima ist deine Stiefmutter?«
Max stöhnte auf. »Halb so alt wie mein Dad. Es ist widerlich.«
»Was ist mit deiner richtigen Mutter?«
»Sie ist zum dritten Mal verheiratet. Von der krieg ich auch nicht viel zu sehen.«
»Dann ist also das Mutter-Thema …«
»Es ist in meinem Kopf. Ich habe es mir ausgedacht.« Er spielte es schnell und heftig, die Akkorde schmetternd. »Hören Sie, halten Sie mich nicht für verrückt oder so. Ich hocke nicht da und heule rum, weil ich nicht die perfekten Eltern habe. Es wäre nur nett, ab und an ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen. Und ich stelle mir immer wieder vor, was passieren würde, falls Jemima schwanger werden sollte.«
»Dann hättest du einen Verbündeten«, sagte Claire. »Mein Bruder und meine Schwester waren meine besten Freunde in der Kindheit.«
Max schüttelte den Kopf. »Es gäbe zwei Möglichkeiten. Entweder würde Jemima sich daraufstürzen wie auf einen neuen guten Zweck oder einen neuen Trend, und das Kleine würde völlig verwöhnt werden, oder sie würde es ebenfalls ignorieren. So oder so hoffe ich, dass es nie passiert.«
»Deinem Dad muss doch an dir liegen, wenn er sich das Sorgerecht für dich erkämpft hat.«
»Ich glaube nicht, dass er viel kämpfen musste. Außerdem wirkt es gut, dass er mich hat. Politisch gesehen.« Er spielte vier Töne, beschwingt wie ein Werbejingle. »Das ist das Thema von meinem Dad. Die Fassade muss immer stimmen.«
Claire biss sich auf die Lippe. »Hast du schon mit deinem Hausva…«
»Ich werde nicht mit Mr. Doughty reden. Er und Dad sind so eng.« Er presste die Finger zusammen.
»Was ist mit …«
Max spielte wieder seinen Militärmarsch.
»Verstehe.«
»Ich will sowieso nicht darüber reden«, sagte er. »Ich will bloß Musik machen. Okay?«
Claire erhob sich. Flüchtig berührte sie Max an der Schulter.
»Spiel, so viel du willst. Solange es dich nicht stört, dass ich zuhöre.«
Liebes Kleines,
Erwachsene sind kompliziert. Sie sagen kaum je, was sie meinen. Man muss unter die Oberfläche ihrer Worte schauen und versuchen herauszubekommen, was wirklich Sache ist. Manche Erwachsene, vielleicht sogar die meisten, schleppen geheime Gefühle mit sich herum, die sich in ihrem Innern häufen und die mit mehreren Schutzschichten verhüllt sind. Manchmal wissen sie noch nicht einmal selbst, dass diese Gefühle vorhanden sind, bis sie plötzlich aus ihnen herausbrechen.
Es ergibt keinen Sinn, nicht wahr?
Babys hingegen sind einfach. Sie brauchen Nahrung und Wärme und saubere Windeln und Liebe. Vielleicht mögen sie das eine oder andere Spielzeug, und sie betrachten gern Sonnenstrahlen, die durch kühle grüne Blätter dringen.
Du weißt ja nicht, wie viel Glück du hast, liebes Kleines. Halte so lange wie möglich daran fest.
Hormonchaos
I ch kriege die ganze Sache mit der Schwangerschaft problemlos hin. Das schaffe ich mit Leichtigkeit. Ich werde es kaum merken.
Wer’s glaubt, wird selig.
Romily arbeitete im Konferenzraum: nur sie und ein Laptop, keine Insekten, kein Fenster. Schublade 70 blieb in Amitys Vitrine. Beim geringsten Hauch von Naphtha lin wurde Romily speiübel. Im Arbeitszimmer konnte sie auch nicht arbeiten. Layla, die freiwillige Hilfskraft, die dienstags kam, benutzte ein besonders süßliches Geißblatt-Parfum.
Ihr wurde nicht nur von Gerüchen schlecht. Posie hatte oben einen Wackelzahn, und jedes Mal, wenn sie mit der Zunge daran wackelte, musste sie sich die Augen zuhalten. Selbst der Gedanke an den wackeligen Zahn reichte aus, damit ihr übel wurde. Ebenso der besondere Braunton des Flusswassers auf ihrem morgendlichen Weg zur Arbeit. Oder warmes, schwüles Wetter. Oder die flaumige Seite von Klettverschlüssen. Oder die Vorstellung von Ohrringen.
Romily nippte an ihrem Glas Wasser, das bald nicht mehr erfrischend kalt, sondern lauwarm und damit übelkeiterregend sein würde. Sie überlegte, dass sie im Grunde das wandelnde Hormonchaos war und keine Ahnung hatte, was dagegen zu tun sei. Und in der Zwischenzeit lag oben Amitys Sammlung brach.
»Romily?« Layla steckte den Kopf ins Zimmer, und Romily hielt instinktiv die Luft an. »In der Eingangshalle wartet Besuch auf dich.«
Ben? Romily sprang auf, schnappte sich ihre Tasche und lief die Treppe hinunter und durch das Erdgeschoss des Museums zu der weiß gestrichenen Eingangshalle mit den hohen Fenstern.
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