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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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den Blick hob, konnte sie seine Hand sehen, die auf dem Tisch ruhte. Ein Stück Schnur war lose um sein Handgelenk gebunden, und an seinem Zeigefinger befand sich eine halb verheilte Wunde. Er hatte die Schnur einhändig verknotet, oder jemand hatte sie ihm um das Handgelenk gebunden. Sie hatte eine Bedeutung oder aber auch nicht. Er hatte geblutet, als er sich in den Finger geschnitten hatte. Wahrscheinlich geflucht, sich den Finger in den Mund gesteckt. Sie spürte seinen Blick. Das Schweigen zog sich erneut in die Länge.
    Sie wünschte, er würde weggehen.
    »Du hast doch keine Grippe, oder?«, sagte er. »Du bist schwanger.«
    Das überraschte sie so sehr, dass sie aufblickte, direkt in sein Gesicht. »Man sieht es mir an?«
    »Bloß geraten.«
    »Ich bin dicker, nicht wahr?«
    »Eigentlich nicht.«
    Er hatte seine Hände vom Tisch genommen, und nun lagen sie auf seinen Stuhllehnen, als mache er sich auf etwas gefasst.
    »Glücklich?«
    »Ja. Ja, bisher läuft alles gut. Abgesehen von der Kotzerei, die mittlerweile eigentlich vorüber sein sollte.«
    »Ist es …« Er räusperte sich wieder und fuhr in gleichgültigem Tonfall fort. »Ist es von Ben?«
    »Ja.«
    »Großartig. Großartig. Tja, wie schon gesagt. Schön zu wissen, dass sich manche Dinge nie ändern. Dass du letztlich bekommen hast, was du wolltest.« Er erhob sich. »Ich mach mich dann wieder auf den Weg nach London. Ich werde Anil von dir grüßen.«
    »Ich … Okay.«
    »Tschüs, Romily.« Jarvis drehte sich um und ging auf den Ausgang des Cafés zu.
    Da er sie nun nicht mehr ansah, konnte sie ihm hinterherstarren. Die Hände in den Hosentaschen, der lose Hemdschoß. Und wie die Haare oben am Scheitel einen völlig vertrauten Wirbel bildeten.
    »Mist«, sagte sie zu sich selbst, und dann war sie auf den Beinen, eilte ihm nach, in ihrer Tasche kramend. »Jarvis. Warte!«
    Er blieb vor einer Auslage mit Broschüren stehen. »Schon gut. Ich habe nicht mit einem Begrüßungskomitee gerechnet.«
    »Ich muss dir etwas zeigen.« Sie fand ihren Geldbeutel, öffnete ihn und zog ein Foto heraus. Es war ein Schulfoto vom letzten September, und die Ecken waren abgenutzt. Posies Pullover war sauber, und ihr Pony war frisch geschnitten, doch ihre Haare hatten sich ein wenig aus den Zöpfen gelöst. Sie lächelte spöttisch, als würde sie einen ironischen Kommentar über Schulfotografien ab geben.
    Romily reichte es ihm. Wie sie bemerkte, zitterten ihre Finger. Jarvis nahm es entgegen.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Es ist meine Tochter Posie«, sagte Romily. »Kurz für Mariposa. Das ist Spanisch für …«
    »Schmetterling.«
    »Im Februar ist sie sieben geworden.«
    Er drehte das Foto um und sah sich die leere Rückseite an. Dort fand sich keine Erklärung. Er drehte es wieder um und betrachtete es, während Romily an ihrer Unterlippe nagte.
    »Sieben Jahre alt«, wiederholte er.
    »Ja.«
    »Sie sieht«, sagte er langsam, vorsichtig, »Ben nicht ähnlich.«
    »Ben ist nicht ihr Vater.«
    Das Foto wehte zu Boden. Jarvis packte sie an den Schultern.
    »Romily, was hast du getan?«, schrie er.

Discovery
    D as ganze Café – und wohl auch das ganze Museum – verstummte. Jarvis, der bisher so entspannt gewesen war, sah mit wutverzerrtem Gesicht auf sie herab. Romily versuchte zurückzuweichen, doch sie konnte sich seinem Griff nicht entwinden.
    »Nicht hier«, sagte sie. »Lass uns das nicht hier bereden.«
    »Du bist es gewesen, die mir das Foto in die Hand gedrückt hat. Worauf willst du hinaus, Romily? Ist sie mein Kind? Bin ich ihr Vater? «
    »Draußen, bitte. Bitte, Jarvis.« Sie erstickte. Sie würde sich übergeben. Sie würde in Ohnmacht fallen. »Bitte«, flehte sie erneut.
    Unvermittelt ließ er sie los, bückte sich, um das Foto aufzuheben, und marschierte durch die Eingangshalle nach draußen. Seine Boots hallten laut und wütend wider. Sie folgte ihm durch die gläserne Schiebetür in die Sommerwärme. Ohne Romily eines Blickes zu würdigen, stapfte er die Straße entlang. Heftig atmend verfiel Romily in Trab, um mitzukommen.
    »Bin ich ihr Vater?«
    »Ja.«
    »Verdammte Scheiße!« Er schrie es. Eine Fußgängerin wich rasch aus.
    »Ich kann es dir nicht verübeln, dass du überrascht bist«, sagte Romily.
    »Überrascht? Das ist eine verfluchte Untertreibung! ›Hallo, Jarvis, schön, dich zu sehen, ist schon ’ne Weile her. Ach, und übrigens ist hier ein Foto von deinem Kind‹!«
    Ein Taubenschwarm ergriff die Flucht. Jarvis lief

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