All unsere Traeume - Roman
du dir das Ultraschallbild am Kühlschrank überhaupt angesehen, oder machst du jedes Mal die Augen zu, wenn du die Milch rausholst?«
»Ich habe es mir angesehen«, erwiderte sie leise.
»Ich warte ständig darauf, dass du uns die Erlaubnis zum Glücklichsein erteilst.«
»Ich möchte glücklich sein. Nur ich … Es ist schwierig.«
»Romily und du – ihr seid vielleicht nicht in jeder Hins icht einer Meinung. Und ich kann nachvollziehen, warum du einen gewissen Groll gegen sie hegst. Aber letztlich geht es doch um unser Kind. Du willst dieses Baby doch, oder?«
Aus irgendeinem Grund musste sie an ihren Schüler Max denken. Was er darüber gesagt hatte, falls seine Stiefmutter schwanger werden sollte. Was er über sich selbst gesagt hatte.
Sie hatte sich nicht gestattet, dieses Baby zu sehr zu wollen, aus reinem Selbstschutz. Doch wann war die Grenze zu vorsätzlicher Gleichgültigkeit überschritten?
»Ich will das Baby«, sagte sie. »Natürlich will ich das Baby.«
»Dann geh und triff dich mit Romily. Bitte! Hilf ihr, was auch immer gerade los ist. Sie braucht uns beide, und wir brauchen sie.«
Ein Auto fuhr vorbei, und die Scheinwerfer erhellten das Innere ihres Wagens. Den Raum zwischen ihnen.
»Na schön«, sagte Claire.
Claire war zu früh dran. Ben hatte mit Romily ausgemacht, dass sie sich bei Starbucks treffen würden, wohin es Claire normalerweise nie verschlug. Wenn sie sich einmal etwas gönnte, ging sie lieber in das kleine Café ein paar Häuser weiter. Sie bestellte einen Cappuccino und einen Zitronenmuffin und entschied sich für einen Tisch am Fenster.
Sie war fest entschlossen, ruhig und vernünftig und nachsichtig zu sein. Nicht unbedingt um Romilys willen, aber für Ben. Und für das Baby.
Romily tauchte zehn Minuten zu spät auf, und obwohl Claire winkte, stand sie erst ein paar Minuten in der Tür, bevor sie sie sah. Romily sah schlimm aus. Sie trug einen Männerpulli mit hochgekrempelten Ärmeln, und ihr Gesicht war verschwollen und blass. Ihre Haare waren für den Kurzhaarschnitt zu lang gewachsen und wirkten zerzaust und ungepflegt. Claire stand auf, als Romily auf sie zukam.
»Wo ist Ben?«, fragte Romily. Aus der Nähe sah sie sogar noch schlimmer aus. Ihr Teint war so blass, dass er fast grünlich wirkte, und sie hatte dunkle Augenringe. Ihre Lippen waren aufgesprungen und ihre Nase rosa. Ihr Blick war beinahe panisch. Offensichtlich hatte Ben ihr nicht Be scheid gegeben, dass er nicht kommen konnte.
»Er hatte ein Problem mit einem Kunden«, erklärte Claire ihr. »Also bin ich stattdessen gekommen. Was möchtest du trinken?«
»Ich mach das schon.«
»Nein, ich bestehe darauf.«
»Nein, lass mich.« Romily drehte sich um und ging zur Verkaufstheke. Jeder Schritt wirkte erschöpft.
Tja. Das lief ja prima. Claire setzte sich wieder und trank einen Schluck Kaffee. Nach einer Weile kehrte Romily mit einem riesigen pinkfarbenen Eisgetränk zurück.
»Das sieht ja interessant aus«, meinte Claire freundlich.
»Es ist in Ordnung, da ist Obst drin. Theoretisch.« Romily zog den Stuhl zurück und ließ sich schwerfällig nieder. Unter dem geräumigen Pullover wölbte sich ihr Bauch vielleicht ein wenig, doch sie war so schlank, dass es schwer zu sagen war.
»Wie fühlst du dich?«
»Ich weiß, ich sehe mies aus.«
»Ich … wollte damit nicht andeuten …«
Romily winkte ab. »Du brauchst gar nichts anzudeuten. Ich besitze einen Spiegel. Abgesehen davon geht es mir mies.« Sie stellte ihr Getränk auf den Tisch, ohne davon zu kosten.
»Ist alles in Ordnung? Mit dem Baby?«
»Eurem Baby geht es gut. Es sind diese verdammten Hormone, die mich fertigmachen.«
»Ben sagte, du hättest leichte Morgenübelkeit.«
»Mit leichter Übelkeit hat es angefangen. In der vergangenen Woche habe ich mich allerdings im Zweistundentakt übergeben. Es ist so weit gekommen, dass ich mir gar nicht mehr die Mühe mache, etwas zu essen, das beim Hochkommen erheblich anders aussieht als beim Hinunterschlucken. Weetabix ist am einfachsten. Nichts für ungut, trotz der ganzen Lebensmittel, die du geschickt hast.«
»Das ist ja furchtbar! Es tut mir leid.«
»Es ist nicht deine Schuld. Na ja, in gewisser Weise schon.« Sie lachte, aber nicht, als fände sie es tatsächlich komisch.
»Ich dachte, Morgenübelkeit legt sich nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel wieder«, sagte Claire.
»Theoretisch, bei den meisten Frauen ist das so. Letztes Mal hatte ich überhaupt keine. Diesmal
Weitere Kostenlose Bücher