All unsere Traeume - Roman
können.«
»Ich dachte nicht, dass es so spät ist. Wie dem auch sei, ich hatte ein Sandwich bei Romily.«
Sie räumte den Teller in den Geschirrspüler, bevor sie sich zu ihm drehte. »Du warst bei Romily?«, fragte sie betont beiläufig.
»Ich habe auf dem Weg von der Arbeit vorbeigeschaut.«
»Brickham«, sagte sie schon etwas weniger beiläufig, »liegt nicht auf dem Weg von der Baustelle.«
»Sie hatte einen tropfenden Wasserhahn, den ich mir ansehen wollte.«
»Wir haben seit über einer Woche nicht mehr gemeinsam zu Abend gegessen.« Und das letzte Mal Sex ist noch länger her, dachte sie, sagte es aber nicht.
»In der Arbeit ist viel los. Das weißt du doch.«
»Aber nicht so viel, dass du keinen tropfenden Wasserhahn bei Romily reparieren könntest.«
Ben fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Sie ist allein, Claire.«
»Ich weiß, wie sie sich fühlt.«
»Du hast auch viel um die Ohren. Du hattest die ganze Woche über Sitzungen und Vorspieltermine. Das ist immer so bei dir nach den Ferien.«
»Ja, aber das hier ist unsere letzte Gelegenheit, Ben. Wir werden keine Zeit für ruhige Abendessen zu zweit haben, wenn das Baby erst einmal da ist. Die Zeit jetzt sollten wir eigentlich zusammen verbringen.« Die letzte Gelegenheit für ruhige Abendessen, die letzte Gelegenheit für spontanen Sex, die letzte Gelegenheit, sich so zu benehmen, wie sie es kurz nach ihrer Hochzeit getan hatten, damals, als sie noch ganz sie selbst waren.
»Romily braucht mich im Moment mehr. Es tut mir leid, Claire, aber so ist es nun einmal. Außerdem bist du es gewesen, die wollte, dass ich ein Auge auf sie habe, um sicherzugehen, dass sie nicht wieder Dummheiten anstellt.« Unter seinen Augen waren dunkle Ringe, obwohl er nachts schlief. »Ich versuche, das Beste für alle zu geben, und manchmal bedeutet das, dass ich nicht auf die Minute pünktlich zum Abendessen hier sein kann.«
»Ich will damit ja nur sagen«, erwiderte sie, und es klang längst nicht mehr beiläufig, »dass du hättest anrufen können.«
Liebes Kleines,
heute habe ich Radio gehört, und es kam ein Lied von den Beatles, »All You Need Is Love«.
Was für ein Schwachsinn.
Liebe ist nicht die Antwort. Liebe ist das Problem.
Es wäre so viel einfacher, wenn wir unseren Instinkten folgen würden. Den eigenen Nachwuchs von jemand anderem großziehen lassen, ist in der Natur kein Problem. Es passiert ständig. Für manche Arten hatte diese Entscheidung der Evolution vorteilhafte Auswirkungen.
Wieso fällt es mir also so schwer?
Die Paarung ist eine Transaktion. Ein Austausch von Genen. Die meisten Gattungen haben keine Paarbindungen. Sie verfallen ganz bestimmt nicht auf Paarbindungen mit dem Männchen eines anderen Weibchens und verbringen dann Jahr für Jahr damit, sich selbst zu quälen. Sie verpassen keine Paarbindungs-möglichkeiten mit anderen Männchen, weil sie nicht dasjenige haben können, für das sie sich ursprünglich entschieden haben. Nur Menschen tun das, dank ihrer lächerlichen Hingabe an die Liebe.
Meine Liebe zu Ben – zu deinem Vater – ist nun schon so lange ein konstanter Teil meines Daseins. Nicht, weil es etwas ist, das ich empfinden möchte, ganz im Gegenteil. Ich wäre viel glücklicher, wenn ich morgen aufwachen und merken würde, dass ich ihn nicht mehr liebe. Ich wäre diesen ständigen Schmerz und diese Sehnsucht und das schlechte Gewissen los. Es wäre wie eine Heilung.
Wenn ich nicht in Ben verliebt gewesen wäre, wer weiß, wie es vielleicht mit Jarvis gekommen wäre? Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, bin ich auf ihn verfallen, weil er das Gegenteil von Ben zu sein schien. Ich habe ihn von Anfang an jeden Augenblick mit Ben verglichen, und es hat mich blind gemacht. Ich habe jedenfalls nie gesehen, was er für mich empfand. Ich habe nie begriffen, dass sein Weggehen bedeutete, dass er mich liebte.
Wenn ich nicht ständig verglichen hätte, wenn ich ihn so gesehen hätte, wie er ist, hätte ich mich dann in ihn verlieben können? Hätten wir zusammenbleiben können, Posie gemeinsam großziehen?
Hätte ich Posie mehr geliebt, bevor sie auf die Welt kam?
Man würde meinen, die Liebe zu den eigenen Kindern wäre das Einfachste auf der Welt. Doch ich habe Posie nicht geliebt, als sie in meinem Bauch war. Nicht so, wie ich dich liebe. Ich hatte viele Gründe – ich versuchte, an meiner Doktorarbeit zu schreiben, ich machte mir Sorgen um meine Zukunft, ich hatte kaum Geld –, doch letztlich lässt sich
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