Allan Quatermain
welche Wirkung ihre Rede bei der Menge hinterließ, und als sie sah, daß ihre Worte gut ankamen, ließ sie ihren Tonfall sofort von einem protestierenden in einen gebieterischen umschlagen.
»Ho! Platz da!« rief sie. »Platz gemacht, sage ich! Gebt den Weg frei für die Königinnen und für die, über die die Königinnen ihren ›Kaf‹ geworfen haben * !«
»Und wenn ich mich weigere, Königin?« zischte Agon mit gepreßter Stimme durch die Zähne.
»Dann werde ich mir mit meiner Leibwache einen Weg bahnen!« lautete die stolze Antwort. »Jawohl, auch hier, angesichts des Allerheiligsten, und wenn es sein muß, durch die Leiber deiner Priester!«
Agons Gesicht wurde in ohnmächtiger Wut aschfahl. Er starrte in die Menge, als wollte er sie beschwören, aber er mußte in diesem Moment erkennen, daß die Sympathien bei der Gegenseite waren. Die Zu-Vendi sind von ihrer Mentalität her ein neugieriges und umgängliches Volk, und so sehr sie es auch als eine Ungeheuerlichkeit ansahen, daß wir die heiligen Flußpferde erschossen hatten; der Gedanke, daß die ersten echten Fremden, die jemals in ihr Land gekommen waren, in einen Flammenofen geworfen und verbrannt werden sollten, behagte ihnen überhaupt nicht; denn waren sie erst einmal tot, dann war ein für allemal die Chance vertan, etwas von ihnen zu lernen und über sie zu klatschen. Agon spürte diese Stimmung und zögerte; und da erhob zum erstenmal Nylephta ihre sanfte, melodische Stimme.
»Bedenke, Agon«, sagte sie, »diese Männer können sehr wohl, wie meine königliche Schwester schon sagte, Diener der Sonne sein. Aber sie können nicht für sich selbst sprechen, da ihre Zungen gebunden sind. Warte erst einmal solange, bis sie unsere Sprache gelernt haben. Man darf niemanden verurteilen, ohne ihn vorher gehört zu haben. Wenn diese Männer erst sich selbst verteidigen können, dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, sie auf die Probe zu stellen.«
Hiermit hatte Nylephta dem Priester eine goldene Brücke gebaut, über die er sich ohne Gesichtsverlust vorerst aus der Affäre ziehen konnte, so wenig sie ihm auch paßte; jedenfalls ergriff der rachsüchtige Alte den dargebotenen Strohhalm mit beiden Händen.
»So sei es denn, o Königinnen«, antwortete er. »Mögen diese Männer in Frieden ziehen, und wenn sie unsere Sprache gelernt haben, dann sollen sie sprechen. Und ich, jawohl – ich, werde in Ehrfurcht vor dem Altar auf die Knie fallen, auf daß nicht wegen des Sakrilegs die Pest über unser Land komme.«
Diese Worte wurden von der Menge mit beifälligem Gemurmel aufgenommen, und ein paar Minuten später verließen wir schon den Tempel, umringt von den Soldaten der königlichen Leibgarde.
Erst viel später jedoch sollten wir erfahren, was sich eigentlich alles im einzelnen hinter den Kulissen abgespielt hatte, und wie knapp wir dem grausamen Griff der Priesterschaft entrungen worden waren, der gegenüber selbst die Königinnen praktisch keine Macht hatten.
Hätten nicht die Königinnen alles in ihrer Macht Stehende unternommen, uns zu beschützen, dann wären wir schon getötet worden, bevor wir überhaupt den Fuß über die Schwelle des Tempels gesetzt hätten. Der heimtückische Versuch, uns bei lebendigem Leibe in den Flammenofen zu stürzen, war der letzte in der Reihe mehrerer gescheiterter Attentatsversuche gewesen, mit dem die Priester sich uns vom Halse hatten schaffen wollen.
15
Sorais' Lied
Nachdem wir Agon und seiner bigotten Mörderbande so glücklich entkommen waren, kehrten wir in unsere Quartiere im Palast zurück. In der Folgezeit erging es uns prächtig. Die beiden Königinnen, die Adeligen und die Bevölkerung wetteiferten miteinander darin, uns mit Ehrerbietungen und Geschenken zu überschütten. Und was den unglücklichen Zwischenfall mit den Flußpferden betrifft, so geriet er sehr bald in Vergessenheit, was uns auch alles andere als ungelegen war. Jeden Tag kamen Menschen, manchmal sogar ganze Abordnungen, zu uns, die unsere Waffen, unsere Kleidung, unsere Kettenhemden, unsere Instrumente, und insbesondere unsere Uhren bestaunen wollten. Die letzteren hatten es ihnen besonders angetan und schienen ihnen ein Heidenvergnügen zu bereiten. Kurz, wir kamen ganz groß in Mode; das ging sogar so weit, daß einige der modebewußten jungen Burschen unter den Zu-Vendi anfingen, den Schnitt einiger unserer Kleider zu kopieren, besonders Sir Henrys Jägerjacke. Eines Tages erwartete uns wieder einmal eine Gesandtschaft,
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