Allan Quatermain
geschrieben hat, sowie einen Brief von mir an meinen Bruder George. Der Gedanke, daß ich ihn niemals wiedersehen werde, stimmt mich sehr traurig. Ich habe ihm in diesem Brief geschrieben, daß er als mein direkter Erbe frei über mein Vermögen, das ich in England zurückgelassen habe, verfügen darf, sofern das Hinterlegungsgericht seine Zustimmung dazu gibt, denn Good und ich haben uns dazu entschlossen, nie mehr nach Europa zurückzukehren. Selbst wenn wir tatsächlich den Wunsch hätten, könnten wir ohnehin Zu-Vendis nie wieder verlassen.
Der Bote, den wir losschicken wollen – und ich wünsche ihm von Herzen alles Gute für die Reise –, ist Alphonse. Seit langer Zeit schon langweilen ihn Zu-Vendis und seine Einwohner zu Tode. »Oh, oui, c'est beau« , pflegt er mit einem bezeichnenden Achselzucken zu sagen, wenn man ihn fragt, wie es ihm in Zu-Vendis gefällt; »mais je m'ennuie; ce n'est pas chic.« Ständig beklagt er sich schrecklich darüber, daß es keine Cafés und keine Theater gibt, und dann jammert er pausenlos über seine verlorene Annette. Er behauptet, dreimal die Woche von ihr zu träumen. Ich glaube indessen, der tiefere Grund für seine Abscheu gegen das Land liegt – einmal abgesehen von dem Heimweh, das wohl jeden Franzosen in der Fremde plagt – darin, daß die Leute hier schrecklich über sein Verhalten, das er während der großen Schlacht am Paß an den Tag legte, lachen. Die Geschichte, wie er sich unter einem Banner in Sorais' Zelt versteckte, um nicht in den Kampf geschickt zu werden (was, wie er sagt, gegen sein Gewissen gegangen wäre), ist noch heute, achtzehn Monate nach jenem denkwürdigen Ereignis, in aller Munde. Selbst die kleinen Jungen auf der Straße rufen ihm spöttisch nach. Ich kann verstehen, daß das seinen Stolz zutiefst verletzt und ihm das Leben hier unerträglich macht. Nun, jedenfalls hat er sich dazu entschlossen, die Strapazen und Gefahren einer abenteuerlichen Reise auf sich zu nehmen, die an Beschwerlichkeit und Fährnissen wohl ihresgleichen sucht. Er ist sogar gewillt, Gefahr zu laufen, der französischen Polizei in die Hände zu fallen und sich für eine kleine Unbesonnenheit (von der ich im übrigen glaube, daß es sich um keine besonders schwerwiegende Angelegenheit handelt), zu der er sich vor Jahren hat hinreißen lassen, zu verantworten. Jedenfalls ist ihm das lieber, als hierzubleiben, in ce triste pays .
Der arme Alphonse! Die Trennung von ihm wird uns nicht leichtfallen; möge er, um seinetwillen, und um dieser Geschichte willen, die es meiner Meinung nach wert ist, daß sie in die Außenwelt gelangt, heil und sicher Europa erreichen! Sollte ihm das gelingen, und sollte er es schaffen, den Schatz, den wir ihm in Form massiver Goldbarren mitgegeben haben, unbeschadet nach Europa zu bringen, dann wird er für sein Leben ausgesorgt haben und sehr wohl in der Lage sein, seine Annette zu heiraten, falls sie noch unter den Lebenden weilt und gewillt ist, ihren Alphonse zum Manne zu nehmen.
So, und nun will ich die Gelegenheit nutzen und der Erzählung des guten alten Quatermain noch ein paar Worte hinzufügen.
Er starb im Morgengrauen jenes Tages, an dessen Vorabend er die letzten Worte des Kapitels geschrieben hatte. Nylephta, Good und ich waren zugegen, und ich muß sagen, es war eine zutiefst ergreifende und doch auf ihre Art schöne Szene. Eine Stunde vor Tagesanbruch wurde es uns zur Gewißheit, daß es mit ihm zu Ende ging. Wir waren zutiefst betrübt. Good brach bei dem Gedanken, daß unser lieber alter Freund bald von uns gehen würde, in Tränen aus – was noch einmal einen letzten Funken von Humor in unserem sterbenden Freund aufflackern ließ. Selbst in seiner letzten Stunde hatte ihn sein Humor nicht verlassen. Als Good zu weinen begann, fiel ihm natürlich, da sich die Muskeln lockerten, sein Monokel aus dem gewohnten Sitz, und Quatermain, dem ja nie etwas entging, sah das.
»Endlich«, sagte er schweratmend und versuchte ein letztes Mal zu lächeln, »endlich habe ich Good einmal ohne sein Monokel gesehen!«
Danach schwieg er bis zum Anbruch des Tages, und dann bat er uns, ihn aufzurichten, damit er zum letztenmal die aufgehende Sonne sehen konnte.
»In ein paar Minuten«, sagte er, unverwandt mit ernstem Gesicht in die aufgehende Sonne starrend, »werde ich jene goldene Pforte durchschreiten.«
Zehn Minuten später richtete er sich noch einmal auf und schaute jeden von uns lange an.
»Ich gehe nun auf eine lange Reise, die
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