Allan Quatermain
erringen ich solche Pein auf mich nehme ...« – hätten auch das Herz des hartherzigsten Mädchens zum Schmelzen gebracht.
Der Morgen unserer Abreise kam, und gegen sieben Uhr waren alle Esel bepackt. Nun war es an der Zeit, Lebewohl zu sagen. Es war eine traurige Angelegenheit, insbesondere der Abschied von der kleinen Flossie. Sie und ich waren dicke Freunde geworden, und unsere zahlreichen Gespräche waren uns eine liebe Gewohnheit gewesen. Aber ihre Nerven hatten sich nie von dem Schock erholt, den sie in jener Nacht erlitten hatte, als sie, im sicheren Gefühl des Todes, hilflos den blutrünstigen Masai ausgeliefert war.
»Oh, Mr. Quatermain!« rief sie mit tränenerstickter Stimme und schlang ihre Arme um meinen Hals. »Es ist so schrecklich, daß ich Ihnen Lebewohl sagen muß! Ob wir uns wohl einmal wiedersehen?«
»Ich weiß nicht, mein liebes kleines Mädchen«, gab ich zur Antwort. »Ich bin am einen Ende des Lebens, und du bist am anderen. Ich habe nur noch eine kurze Zeit vor mir, wenn ich Glück habe, und das meiste liegt schon in der Vergangenheit. Aber ich hoffe, daß vor dir noch viele lange, glückliche Jahre liegen. Du hast deine Zukunft noch vor dir. Mit der Zeit wirst du zu einer wunderschönen Frau heranwachsen, Flossie, und dieses wilde Leben hier wird dir nur noch wie ein längst vergangener, weit entfernter Traum vorkommen. Aber ich hoffe, daß du, auch wenn wir uns niemals wiedersehen sollten, manchmal an deinen alten Freund zurückdenken und dich seiner Worte erinnern wirst. Bemühe dich immer, gut zu sein, mein liebes Kind, und strebe stets danach, das zu tun, was richtig ist, und nicht nur das, was dir angenehm erscheint; denn am Ende wird sich zeigen, daß das Gute auch immer das ist, was dich wirklich glücklich macht, auch wenn manch einer spöttisch darüber lächeln mag. Sei uneigennützig und hilf, wann immer du kannst, deinem Nächsten – die Welt ist voll von Leid; es zu lindern, ist unser nobelstes Ziel. Wenn du das tust, dann wirst du eine gütige und gottesfürchtige Frau werden, und du wirst ein wenig Licht in das Leben vieler Menschen bringen, und am Ende wirst du nicht, wie so viele andere, umsonst gelebt haben. Nun habe ich dir eine Menge altmodischer Ratschläge mit auf den Weg gegeben, aber ich will dir auch etwas geben, womit du sie dir ein wenig versüßen kannst. Du siehst dieses kleine Blatt Papier; man nennt so etwas einen Scheck. Wenn wir fort sind, gib ihn deinem Vater zusammen mit diesem Brief – aber erst, wenn wir fort sind, hörst du! Du wirst eines Tages heiraten, meine liebe kleine Flossie, und mit diesem Scheck sollst du dir ein Hochzeitsgeschenk kaufen, das du immer bei dir tragen sollst, und nach dir deine Tochter, wenn du eine haben solltest – zur Erinnerung an den alten Jäger Quatermain.«
Die arme, kleine Flossie weinte ganz schrecklich und schenkte mir eine Locke von ihrem hellglänzenden Haar, die ich noch heute bei mir trage. Der Scheck, den ich ihr gab, belief sich über tausend Pfund (die ich nun, da es mir finanziell gut geht und ich keine Verpflichtungen als solche karitativer Natur habe, leicht verschmerzen kann). In dem Brief wies ich ihren Vater an, diese Summe in Regierungspapieren anzulegen und ihr, sobald sie heiratete oder in heiratsfähiges Alter kam, das beste Diamantenkollier zu kaufen, das er für das Geld und die daraus erwachsenen Zinsen bekommen konnte. Ich wählte Diamanten aus dem Grund, weil ich glaube, daß nun, da die Minen des Königs Salomo der Welt für immer verlorengegangen sind, der Preis für Diamanten niemals wieder unter den jetzigen sinken wird, so daß Flossie, sollte sie später einmal in finanzielle Schwierigkeiten geraten, keine Probleme haben dürfte, die Steine zu Geld zu machen.
Nach vielem Händeschütteln, Hüteschwenken und auch überschwenglichen Abschiedsgrüßen seitens der Eingeborenen brachen wir schließlich auf. Alphonse vergoß wahre Bäche von Tränen (er ist ein warmherziger Mann), als er sich von den Mackenzies verabschiedete. Ich selbst brachte die Sache so schnell wie möglich hinter mich; ich hasse Abschiedsszenen. Was mich vielleicht am meisten rührte, war der offensichtliche Kummer, den Umslopogaas die Trennung von der kleinen Flossie bereitete. Der grimmige alte Krieger hatte eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Mädchen entwickelt. Er sagte ihr immer wieder, daß sie so schön anzuschauen sei wie der einzige Stern an einem dunklen Nachthimmel, und er wurde nicht
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