Allan Quatermain
weiterleben in den Gedanken des Volkes, und mit Liebe und mit Stolz wird man von ihnen den Kindern erzählen, deren ungeformte Seelen noch im Schoße ferner Jahrhunderte schlummern. Nicht, daß wir drei erwarten können, einst in einem Atemzug mit jenen genannt zu werden; aber dennoch haben wir etwas vollbracht – genug vielleicht, um einen Mantel über die Nacktheit unserer Dummheit zu werfen.
Als wir an jenem Abend auf der Veranda saßen, um vor dem Schlafengehen noch eine Pfeife zu rauchen, klopfte es plötzlich an der Tür, und vor uns stand niemand anderes als Alphonse, der mit einer tiefen Verbeugung ankündigte, daß er um eine Unterredung mit uns bitten wollte. Als wir ihn höflich, aber bestimmt aufforderten, ›sich davonzumachen‹, eröffnete er uns mit weitschweifigen Worten, daß er darauf brenne, sich unserer Expedition anzuschließen. Ich war darüber nicht schlecht erstaunt, wußte ich doch, was für ein Feigling der kleine Mann war. Seine Gründe blieben uns jedoch nicht lange verborgen: Mr. Mackenzie wollte zur Küste hinunter und von dort aus weiter nach England. Und nun war Alphonse überzeugt, daß man ihn, sobald er an der Küste auftauchte, ergreifen und nach Frankreich ausweisen würde, wo er ins Zuchthaus käme. Dieser Gedanke suchte ihn hartnäckig heim, genauso wie der Kopf von König Charles Mr. Dick heimsuchte, und er hatte solange darüber nachgebrütet, bis sich die Gefahr in seiner Phantasie verzehnfacht hatte. In Wirklichkeit war sein Verstoß gegen die Gesetze seines Landes aller Wahrscheinlichkeit nach längst vergessen, und außer in Frankreich hätte er sich wohl überall auf der Welt unbehelligt bewegen können. Aber wir kriegten ihn beim besten Willen nicht dazu, das einzusehen. Als der geborene Feigling der er nun einmal war, zog der kleine Franzose es hundertmal eher vor, die Risiken, Gefahren und Strapazen, die eine solche Expedition mit sich brachte, auf sich zu nehmen, als sich – ungeachtet seiner großen Sehnsucht nach seinem Heimatland – den möglichen Verhören eines Polizeibeamten auszusetzen, was am Ende nur ein weiteres Beispiel für die Richtigkeit der Behauptung ist, daß für die Mehrzahl der Menschen eine weit entfernte Gefahr, so verschwommen und unrealistisch sie auch sein mag, ein weit stärkeres Angstgefühl auslöst als der ernsteste momentane Notstand. Nachdem wir Alphonse zu Ende angehört hatten, beratschlagten wir, was wir tun sollten, und schließlich erklärten wir uns damit einverstanden, mit Mr. Mackenzies Zustimmung, das Angebot des kleinen Franzosen anzunehmen. Der Entschluß fiel uns nicht leicht; aber zum einen brauchten wir dringend noch einen Mann, und Alphonse war ein quicklebendiger, flinker Bursche, der ein Händchen für viele Dinge besaß, insbesondere fürs Kochen – ah, und wie er das konnte! Ich bin überzeugt, er hätte sogar noch aus den Gamaschen seines heroischen Großvaters, über die er so gerne sprach, eine schmackhafte Mahlzeit gezaubert. Zum anderen war er stets gutgelaunt, immer zu Späßen aufgelegt und nicht zuletzt eine gutmütige Seele, und sein pompöses, prahlerisches Gerede war uns eine Quelle ununterbrochenen Spaßes. Und was noch viel wichtiger ist: er war nie hinterhältig oder boshaft. Natürlich war die Tatsache, daß er so ein ausgesprochener Feigling war, ein großer Minuspunkt für ihn, aber da wir diese Schwäche bei ihm ja nun zur Genüge kannten, konnten wir uns mehr oder weniger darauf einstellen. Nachdem wir ihn also noch einmal eindringlich auf die möglichen Gefahren hingewiesen hatten, denen er sich aussetzte, wenn er mit uns ging, erklärten wir ihm, daß wir sein Angebot unter der Bedingung annehmen wollten, wenn er verspreche, allen unseren Anweisungen strikt Folge zu leisten. Wir versprachen ihm außerdem, ihn für seine Dienste mit zehn Pfund pro Monat zu entlohnen, falls er je wieder in zivilisierte Gegenden kommen würde, um sie noch empfangen zu können. Erfreut stimmte er allen unseren Vorschlägen und Bedingungen zu. Dann zog er sich zurück, um seiner Annette einen Brief zu schreiben. Mr. Mackenzie hatte ihm versprochen, den Brief zu besorgen, sobald er die Küste erreicht hätte. Als er mit dem Brief fertig war, las er ihn uns vor. Sir Henry übersetzte ihn uns. Es war eine wundervolle Komposition. Ich bin sicher, die Tiefe seiner Zuneigung, seine glühende Verehrung und die Schilderungen seiner Leiden in der barbarischen Fremde – »weit, so weit von dir, o Annette, welche zu
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