Allan Quatermain
sondern nahm seinen finsteren Verlauf nicht ›durch Höhlen, größer noch, als sie des Menschen Aug' ermessen kann‹, sondern zwischen zwei unheimlichen Felswänden, die wohl an die zweitausend Fuß hoch sein mußten. Sie waren in der Tat so hoch, daß da, wo wir waren – obwohl man oben einen Streifen des Himmels sehen konnte, tiefe Düsternis herrschte – keine tiefschwarze Nacht indessen, sondern eine Art Dunkelheit, wie sie in einem Raum herrscht, dessen Fensterläden man am hellichten Tage so dicht wie möglich schließt. Auf beiden Seiten stieg die große, glatte Felswand kahl und abweisend fast senkrecht in steile Höhen, daß einem schwindelte, wenn man mit dem Auge ihre gewaltige Größe ermessen wollte. Das kleine Stückchen Himmel, das das Ende der Wälle markierte, lag wie ein dünner blauer Faden auf ihrer schwindelerregenden Schwärze, deren erdrückende Wucht von keinem Baum und keiner Ranke gemildert wurde. Hie und da jedoch zogen sich geisterhaft anmutende Fäden langer, grauer Flechten über das Gestein, die reglos an dem Felsen hingen wie lange weiße Barthaare am Kinn eines toten Greises. Es kam uns so vor, als sänken nur der Bodensatz oder die schwereren Teile des Lichtes zu diesem Ort des Grauens herab; kein heller, beschwingter Sonnenstrahl konnte so tief in die Spalte hineinfallen: er erlosch weit, weit über unseren Köpfen.
An einer Stelle des Flusses befand sich eine kleine Einbuchtung, wo runde Felsbrocken ein Ufer bildeten. Das ständig über sie hinwegfließende Wasser hatte sie so geformt. Die Stelle sah so aus, als wäre sie mit Tausenden von versteinerten Kanonenkugeln übersät. Bei Hochwasser existierte hier wahrscheinlich überhaupt kein Ufer, und zwischen dem Fluß und den Felswänden war keinerlei Übergang. Jetzt jedoch befand sich hier eine Fläche von vielleicht sieben oder acht Yards Breite. Wir beschlossen, an diesem Ufer zu landen, um uns nach all dem, was wir durchgemacht hatten, ein wenig auszuruhen und die Glieder ein bißchen zu strecken. Es war zwar eine schauderhafte Stelle, aber wenigstens konnten wir uns eine Weile von den Schrecken des Flusses erholen und unsere Sachen wieder ordentlich in dem Kanu zurechtlegen und verstauen. Wir suchten uns also einen Fleck aus, der uns einigermaßen günstig erschien, und unter einigen Mühen gelang es uns schließlich, das Kanu an Land zu bringen und hinauszuklettern auf die wenig zum Ruhen einladenden kugelrunden Kiesel.
»Potztausend!« rief Good aus, der als erster an Land ging. »Was für ein gräßlicher Ort! Da kriegt man ja wirklich Anwandlungen!« Und dann lachte er.
Sofort wiederholte eine donnernde Stimme seine Worte und gab sie hundertfach verstärkt wieder: »... wirklich Anwandlungen – Ha! Ha! Ha! « – »... dlungen! Ha! Ha! Ha! « antwortete wieder eine andere Stimme in einem schauderhaften Ton von irgendwo weit oben aus der Felswand. »Ha! Ha! Ha!« fiel eine Stimme nach der anderen ein – jede warf die Worte unter tosendem, schrecklichem Gelächter auf die unsichtbaren Lippen der anderen, bis der ganze Ort von den Worten und dem wie entfesselt kreischenden und höhnisch spottenden Gelächter widerhallte, das schließlich ebenso abrupt, wie es begonnen hatte, wieder verstummte.
»Oh, mon Dieu!« schrie Alphonse mit gellender Stimme. Das Getöse hatte ihn so erschreckt, daß er auf der Stelle das bißchen Selbstbeherrschung, über das er verfügte, verloren hatte.
»Mon Dieu! Mon Dieu! Mon Dieu!« donnerte das gigantische Echo, und sogleich schrien, stöhnten und jammerten Hunderte von anderen Stimmen dieselben Worte in allen vorstellbaren Tonlagen und Lautstärken.
»Ah«, sagte Umslopogaas ruhig, »ich spüre deutlich, daß hier Teufel wohnen. Nun, der Ort sieht auch so aus.«
Ich versuchte ihm zu erklären, daß die einzige Ursache des ganzen Getöses in einem höchst bemerkenswerten und interessanten Echo lag, aber das wollte er mir nicht glauben.
»Ah«, antwortete er. »Ich weiß, was ein Echo ist, wenn ich eins höre. Es gab eines, das lebte gegenüber von meinem Kraal in Zululand, und die Intombis (Mädchen) sprachen immer mit ihm. Aber wenn dieses hier ein ausgewachsenes Echo ist, dann kann meins zu Hause nur ein kleines Baby gewesen sein. Nein, nein – da oben wohnen Teufel. Aber ich kümmere mich nicht sehr um sie«, fügte er hinzu und nahm eine Prise Schnupftabak. »Sie können nachmachen, was man sagt, aber sie scheinen keine eigenen Worte sprechen zu können, und sie wagen nicht,
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