Allan Quatermain
schützend ein Schwert über ihn hielten. Zu allen diesen Bildern gab Sorais, die, wie ich bemerkte, uns sorgfältig in Augenschein nahm – insbesondere Curtis, ihre Zustimmung, indem sie jedesmal ausdrücklich nickte.
Schließlich zeichnete Nylephta noch eine letzte Skizze, auf der eine aufgehende Sonne zu sehen war; das sollte bedeuten, daß sie nun gehen mußte, und daß wir uns am darauffolgenden Morgen wiedersehen würden. Als Curtis dieses Bild sah, machte er ein so bekümmertes Gesicht, daß es der blonden Königin nicht entging.
Sie reichte ihm ihre Hand zum Kusse – ich vermute, um ihn zu trösten –, und er nahm sie und küßte sie feurig und galant. Zugleich belohnte Sorais Good, der während der ganzen Indaba (Unterredung) nicht eine Sekunde lang den Blick von ihr gewandt hatte, ebenfalls, indem sie ihm ihre Hand zum Kusse darbot. Ich bemerkte jedoch, daß sie, während Good ihr die Hand küßte, unablässig Sir Henry anschaute. Ich war ganz froh, nicht in dieses Spielchen mit einbezogen zu sein; mir jedenfalls bot keine der beiden ihre Hand zum Kusse dar.
Danach wandte sich Nylephta um und sprach mit dem Mann, der dem Anschein nach das Kommando über die Leibwache innehatte; ihrer Gestik und ihrer festen Stimme nach zu urteilen, sowie der Tatsache, daß er sich zwischendurch mehrere Male leicht vor ihr verbeugte, schien sie ihm klare und eindeutige Anweisungen zu geben. Nachdem sie dies getan hatte, verließ sie, gefolgt von Sorais und dem größten Teil der Leibwache, mit einem koketten Lächeln auf den Lippen die Halle.
Als die Königinnen fort waren, trat der Offizier, mit dem Nylephta gesprochen hatte, auf uns zu und führte uns aus der Halle hinaus und durch zahlreiche Flure und Gänge in einen Teil des Palastes, der aus mehreren verschwenderisch ausgestatteten Gemächern bestand, die alle von einem großen, zentralen Saal aus zugänglich waren, der von Messinglampen, die von der Decke hingen, erleuchtet (inzwischen hatte es schon zu dämmern begonnen) und mit dicken Teppichen und Diwanen ausgestattet war. Während des ganzen Weges dorthin bekundete uns der Offizier immer wieder mit Gesten seine Ehrerbietung.
Auf dem Tisch in der Mitte des Saales befanden sich Speisen und Früchte im Überfluß; darüber hinaus war er mit Blumen geschmückt. Außerdem gab es köstlichen Wein aus alten, tönernen Krügen und dazu wunderschön ziselierte Becher aus goldgefaßtem Elfenbein. Eine Anzahl von Dienern und Dienerinnen stand bereit, unsere Wünsche zu erfüllen, und während wir speisten, ertönte von irgendwoher der silberne Klang einer Laute, umrahmt von den stolzen, herrischen Tönen einer Fanfare, und wir waren nahe daran, uns wie in einem Paradies auf Erden zu fühlen. Der einzige bittere Tropfen im Becher unseres Wohlgefühls war der Gedanke, daß uns dieser abscheuliche Hohepriester den Flammen überantworten wollte. Aber nach all den Anstrengungen der vergangenen Tage waren wir so müde, daß wir schon fast während des köstlichen Mahles einschlummerten, und als wir es schließlich beendet hatten, äußerten wir sofort den Wunsch, schlafen zu gehen.
Die Diener führten uns in unsere Schlafgemächer, jeden in ein eigenes, jedoch gaben wir ihnen zu verstehen, daß wir zu zweit in je einem Raum schlafen wollten. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme ließen wir Umslopogaas mit seiner Axt in dem Hauptgemach schlafen, welches nahe bei den mit Vorhängen versehenen Eingängen unserer Gemächer lag. Good und ich belegten zusammen eines davon, das andere nahmen Sir Henry und Alphonse. Wir zogen uns aus bis auf unsere Kettenhemden, die wir der Sicherheit halber anlassen wollten, und warfen uns todmüde auf die niedrigen, luxuriösen Betten. Kaum hatte ich die seidenbestickte Decke über mich gezogen, als ich auch schon in tiefen Schlaf sank. Goods Stimme weckte mich sogleich wieder auf.
»Quatermain, hast du jemals zuvor solche Augen gesehen?«
»Augen!« knurrte ich mürrisch. »Was für Augen?«
»Die der Königin natürlich! Ich meine Sorais – so ist doch, glaube ich, ihr Name.«
»Ach, ich weiß nicht«, erwiderte ich gähnend, »ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Ich glaube, sie hat recht hübsche Augen.« Und sogleich schlief ich wieder ein.
Fünf Minuten waren vielleicht verstrichen, als ich wieder aufwachte.
»Du, Quatermain!« meldete sich Goods Stimme.
»Was ist denn nun schon wieder los?«
»Hast du ihre schlanken Fesseln gesehen? Ihre Form ...«
Das war zuviel für
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