Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allawa

Allawa

Titel: Allawa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
Parkende mitnähme; er suchte mich, wenn ihm etwas fehlte.
    In diesem Fall rief mein Vater von unten: »Primus möchte dich sprechen .« Er saß dann schon vor meiner Zimmertür im zweiten Stock, glotzte mich an, wünschte Behandlung. Meist war es eine Zecke. Einmal Zahnweh, geschwollene Backe; was tun, wenn jemand so fest glaubt, daß man alles gutmachen kann? Ich hielt meine Hand darüber, siehst du, schon besser. Als ein tiefer Kratzer unter seinem Auge eiterte, legte er sich auf Geheiß hin, »schön ruhig«, also reglos, und ich schnitt die Kruste weg, tupfte mit Papierservietten den grünen Eiter auf. Er knackte nur leise durch die Nase, beklommen heroisch. Mein Bruder, der Medizin studierte, betrachtete die sauber heilende Wunde kopfschüttelnd: »Bei Menschen wäre das unmöglich — und ohne zu desinfizieren !«

    Abends, nachdem sich mein Vater zurückgezogen hatte, erwartete Primus die Lachnummer für meine Mutter. Er richtete sich auf, ich setzte mich neben ihn auf den Boden, und während er meine Mutter starr ansah, erzählte ich, was er mir tagsüber angeblich in einer stillen Viertelstunde mitgeteilt hatte. Daß man bei ihnen zu Hause rauschende Feste gab, indem man alle Wasserhähne aufdrehte. Daß seine Mutter einen gestorbenen kleinen Bruder ausstopfen ließ, um Diskussionen zu vermeiden; sein Vater, der selten heimkam, bemerkte das gar nicht, es genügte ihm durchaus, den Knaben fleißig lernend vor einem aufgeschlagenen Buch sitzen zu sehen. »Geh, ihr seid doch beide schrecklich«, sagte meine Mutter; aber Lachen bedeutete Applaus, er wedelte Dank.
    »Heute hat er gesagt, daß seine Großmutter näselt .« — »So?« — »Ja, sie spricht durch die Nase .« — »Und wie kommt das?« — »Ja, alle Vorfahren sprechen durch seine Nase zu ihm, hat er gesagt .« Applaus, danke, danke, jetzt schlafe ich weiter.
    Oder ich rezitierte aus seinem Gedichtrepertoire für ihn, Arm um seine Schultern gelegt, im schulmäßigen Leierton , wozu er das richtige blöde Gesicht machte. Am liebsten war ihm eine englische Fassung des >Tränenkrügleins< schon die vierte Zeile brach von Schluchzern erstickt ab, worauf er freudig aufsprang.
    Sicher machte er alles nur uns zuliebe mit, heimlich seufzend. Diese Menschen. Anderen Unsinn aber suchte er eindeutig selber. Mein Bruder oder ich warfen eine lange Leine über die hohe Lehne eines Sessels, auf dem wir knieten — bald erfolgte ein Ruck, ha, angebissen, die Leine wurde mühsam eingeholt, bis endlich oben die schwarze Nase erschien. Falls man Glück hatte. Andernfalls gewann der Fisch unten festen Stand und riß gewaltig, der Sessel drohte zu kippen, man mußte loslassen.
    Nur an Tagen, an denen er einen Mord begangen hatte, war er ernster. Gutmütig immer, aber etwas bedrückt; er schnupperte über sich in der Luft und spielte nicht.

    Die Katzen, die er im Lauf seines Lebens umbrachte, konnte man nicht mehr zählen. In einer Mondnacht erwischte er einen Dachs, erst sah ich die beiden, dann tobte der Kampf eine ewige Viertelstunde im dunklen Boskett weiter, bis der Dachs entkam und Primus übel zugerichtet erschien. In dem Lärm hatte weder er meine Rufe gehört noch ich unseren Nachbarn, einen großen Jäger, der seinerseits blutdurstig ans Gartentor trommelte. Zur Begeisterung dieses Mannes tötete Primus auch einen Marder. Heldentaten, Untaten, je nach den Augen des Betrachters.
    Immer noch ließ er auf meinen Anruf von jedem Opfer ab. Oft war es zu spät, er beherrschte sein Handwerk. Einer Ente, die überraschend im Park saß, biß er blitzschnell den Hals durch. Aber unmittelbar danach konnte ich mich auf den alten vorbereiteten Kontakt verlassen: Ich streute Körner um ihn herum, sagte »schön ruhig«, fotografierte ihn mit unseren Hühnern und Truthennen, die sogar zwischen seinen Pfoten harmlos pickten. Er sah ihnen beinahe väterlich zu. Vielleicht war es ihm angenehm, durch den menschlichen Willen einen kurzen Urlaub von seinem Mordzwang zu haben, in dem er wie gefangen lebte. Noch ein Frühling zu Hause; Primus fast zwölfjährig, mit weisem, etwas fernem Blick aus ergrautem Gesicht. Nachts ging er ans Fenster, um leichter zu atmen. Ich streichelte ihn und saß noch eine Weile vor seinem Bett, wenn er sich wieder hingelegt hatte. Eine Hand, ein paar Worte schienen seine Beklemmungen zu lindern.
    Er litt an Arthritis und Urämie, wandelte nur noch langsam durch den Park. Trotzdem riß er mit einem fast zwei Meter hohen Sprung eine Katze vom

Weitere Kostenlose Bücher