Allawa
Verdachtzähne: unsere ganze Verbindung mit Hunden ist a priori egoistisch. Oder warum sonst, fragte ich mich, müßte ich unbedingt diese eine Rasse haben, anstatt irgendeinen Findelhund zu adoptieren? Ja, warum sonst — das wußte ich auch nicht.
Ehe ich auf Flügeln des Gedankens entschweben konnte, begann durch Fingals Ankunft die Praxis.
Es war das fünfte Kriegsjahr, wir hatten keinen Wagen mehr, und mit einem nicht wasserdichten Welpen im Zug zu reisen, hielt ich für unmöglich. Wir ließen ihn also schicken. Er war sehr verängstigt, als ich ihn auf dem Bahnhof des Bergdorfes aus seiner Kiste hob.
In meinem pelzgefütterten Mantel beruhigte er sich; diese weichfellige Stellvertreterin seiner Mutter wollte ihn vielleicht doch nicht umbringen. Allmählich spähte er unter meinem Kinn heraus; samtenes Köpfchen, kitzelnde Ohrspitzen. Neues Entsetzen: unsere am Schneewall gespenstisch dahineilenden Schatten. Mit einem hohen » Wuff « duckte er sich wieder.
Zu Hause trank er Milch, wobei er lausartig anschwoll. Fertig ausgeleckt, suchende Blicke; ein Gang ins Freie war angezeigt. Aber er hatte weder normale graue Ledersohlen noch Seehundsfelle wie die Schneehunde, sondern nur rosa Hausschühchen — daran hätte seine Mutter im Zwinger denken sollen. Ich setzte ihn trotzdem vor die Tür. Er sah mich kläglich fragend an, was das monotone »Geh sei brav« bedeuten möge. Genau das bedeutete es, die Mutterfigur rief freudig » Sooo ist brav« und rannte in die Wärme zurück, er ihr nach.
Dieses Problem wurde nie eines. Gleichbleibende Gewohnheiten genügten — nach jeder der vier pünktlichen Mahlzeiten, nach jedem längeren Schlaf, zur Vorsicht nach lebhaftem Spielen — und zwischendurch ein wachsames Auge. Er sah mich dabei fromm an, erwartete Lob und wurde auch gelobt, ja sogar mit einem Happen gefeiert. »Geh sei brav« blieb die magische Formel, die ihm den letzten Inhalt entlockte.
Andere Probleme reichlich. Erst nur körperliche, wie es dem Babyalter entspricht. Von Anfang an saß er neben mir auf der Eckbank, friedlich gewärmt, während wir aßen. Am zweiten Tag tat er einen Schritt über den Rand, worauf der Fußboden ihm ans Kinn flog. Laute Klage, dramatisches Lahmen vorn, oh oh , Schulter kaputt — nein nein , siehst du, schon vorbei. Aber für mich war es ein großer Schrecken und auch die erste Verwunderung: Primus, in demselben Alter, hätte das nie getan; besonnener oder geschickter, praktischer. Vielleicht war Fingals Mutter intellektuell veranlagt, sie hatte so etwas große, lebhafte Augen.
Dann Bauchweh; ruheloses Gewinsel, keine Lage erträglich, beängstigender Ballonleib. Würmer? Die Kondensmilch zu alt? Die paar zerdrückten Erbsen? Oder nervöse Ursache?
Auch dieser Zwischenfall wurde durch Handauflegen und Heilschlaf behoben. Aber Fingal schien überhaupt viel Bauchweh zu haben, oder was es sonst war, das ihn plagte. Seine Unruhe der ersten Tage verschwand nicht, lag also nicht am Ortswechsel, wie wir gedacht hatten. Es war zum Verzweifeln, wie er sich jede Minute anders legte, wobei sein Korb knarrte. Abends, morgens, nachmittags keine Ruhe, sondern Knarren und Winseln. Nur bei mir auf dem Bett oder Sofa, wo Primus nie gewesen war, schlummerte er endlich ein.
Vielleicht die Kälte? Winterwelpen sind immer benachteiligt, zuwenig Sonne. Aber Primus, dieser gleichmütige Kraftprotz, war sogar erst Ende Oktober auf die Welt gekommen. Acht Boxergenerationen später — wir sind in den letzten zweihundert Jahren auch empfindlicher geworden.
Die Temperaturen von minus zwanzig Grad gingen vorüber, die Bergsonne tat ihm gut, er wuchs schubweise bald in die Länge, bald in die Höhe. Allmählich zeigte sich, daß er ein sehr hübscher Hund werden würde, elegant im Vergleich zum schweren Bau seines Vorgängers.
Nur immer zu mager. Wir opferten ihm, unsererseits abmagernd, was bei der strengen Lebensmittelrationierung irgend möglich war, und ich sammelte in der Nachbarschaft passende Abfälle; trotzdem darbte er offensichtlich. Für rassenreine Schutzhunde wurde ein helvetisches Mischfutter zugeteilt, da sie nicht nur wie Stammbaumlose die Heimat verteidigen konnten, sondern auch die Ehre der Heimat. Die Idee war erhebend, aber er vertrug dieses Futter nicht, obwohl er es gierig fraß.
Glücklicherweise rückte das Kriegsende näher, bessere Hundefutterzeiten mußten folgen. Nicht so sicher schien mir, ob er auch innerlich ins Lot kommen würde.
Fingal , der heldenhafte
Weitere Kostenlose Bücher