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Allawa

Allawa

Titel: Allawa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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plünderte den Postschlitten, da er feststellte, daß sich die Leute Bratenstücke schickten. Er fraß Brötchen, die frühmorgens vor den Häusern lagen. Unbrauchbares Diebsgut wie kleine Schneebesen oder Überpantoffel aus Filz legte er vor unsere ehrbare Tür. Wenn sich die Verwünschungsatmosphäre verdichtete, zogen wir talwärts in die Stadt.
    Dort aber warf er zweimal wöchentlich Mülleimer um, reihenweise. Das Scheppern verriet mir wenigstens, wo er war, ich konnte zur Verhaftung schreiten. Auch dabei waren feste Regeln zu beachten: Rufen veranlaßte ihn zu Koboldtänzen, aber wenn ich auf eine hohe Sandkiste klopfte, sprang er freudig darauf und ergab sich. In Abwesenheit einer Sandkiste dienten kleine Zäune, irgend etwas , worüber oder worauf er springen konnte. Springen bedeutete Lob — obwohl er in diesen Fällen demütig, schlechten Gewissens Tadel erwartete. Ich konnte mich nie entscheiden, ob man derlei Reaktionen als kompliziert oder einfach bezeichnen soll.

    Sehr lästig wurde, daß er keine Einsamkeit ertrug. In seiner Jugend auf dem Lande war immer jemand im Haus gewesen; wir hatten versäumt, ihm das Alleinsein beizubringen, er sollte sich ja vor allem geborgen fühlen. In den Stadtzeiten entwickelte sich eine Plage daraus, nie konnten wir abends ohne ihn ausgehen. Er heulte so abgründig, urzeitlich, daß die Nachbarschaft in Existenzangst verfiel. Nur wenn ihn die Mieter der unteren Wohnung telefonisch anriefen, verstummte er einige Minuten. Nichts zu machen als Opfer zu bringen. Fraglich, ob er es hätte lernen können, so labil wie er war. Aber ich nahm mir vor, einen nächsten Hund von klein auf daran zu gewöhnen: zuerst wenige Minuten lang immer um die gleiche Tageszeit, selbst wenn ich dann schon nicht mehr würde ausgehen wollen.
    Noch zwei Unarten; kleinere, aber doch. Seine Begrüßungen kosteten uns häufig ausgerissene Taschen, Dreiangel, blaue Flecken, Kratznarben auf Lebenszeit. Bei einer Heimkehr wurde ich beinahe ohnmächtig, als er mir mit einem Eckzahn einen Karateschlag hinters Ohr versetzte. Primus hatte uns nie verwundet, weil er mit seinen Waffen fachmännischer umging: Fingal wußte nichts von Waffen — aus Harmlosigkeit fahrlässig. Daran waren ohne Zweifel wir allein schuld, hatten die Schonung zu weit getrieben: ihm Freude gönnen, ihn nicht zurechtweisen. Einen nächsten Hund werde ich gebückt tätscheln, dachte ich, so daß er unten bleibt.
    Ebenso harmlos-rücksichtslos war seine Art, im Freien von hinten daherzurasen, direkt in unsere Kniekehlen. Jeden von uns traf das Los, plötzlich wie abgesägt auf der Erde oder dem Hund zu sitzen. In bezug auf dieses Übel gaben uns auch reuevolle Rückblicke nichts ein, was sich gegen ein solches Temperament hätte tun lassen. Wir erwogen, ihm zum Geburtstag eine Hupe zu schenken, vermuteten aber dann, daß er sie absichtlich nicht benützen würde. Sein handgreiflicher Humor war irgendwie amerikanisch beeinflußt , in den Nachkriegsjahren lag das in der Luft. Am sichersten war, einen Indianersinn für vibrierenden Erdboden zu entwickeln, sich rechtzeitig umzusehen und mit Matadorengrazie auszuweichen.

    Die Harmlosigkeit, die Kindlichkeit hatte eine sehr schöne Vorderseite: er tat keinem Tier etwas zuleide. Als er später einigen bösen Hunden begegnete, konnten sie seine Weltanschauung nicht mehr gefährden. Er kämpfte nicht. Seine Wunden waren sämtlich hinten, nicht sehr ehrenvoll; aber meinetwegen, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun, wir dachten ähnlich.
    Einmal griff ihn ein Hund an, als Fingal neben mir ging, und sonderbarerweise wagte sich der Besitzer nicht einzumischen. Ich packte also mit der linken Hand Fingals Halsband, mit der rechten den Angreifer, hoffend, daß er mir abgenommen würde, schwankend unter den Vorstößen, die von beidseitigem Gebrüll begleitet wurden, im Dunkel einer Winternacht. Siehe, da schüttete jemand von hoch oben einen Kübel Wasser über mich — späte Sühne für unsere Vergehen zu Pimis Zeiten. Zugleich auch freundliche Hilfe; der Feind verzog sich. Und drittens war es einfach die Frau des Stationsvorstehers, die am Bahnhofplatz wohnte. Aber diese irdische Verkleidung eines Engels täuschte mich nicht.
    Von einer Urfeindschaft gegen Katzen hatte Fingal nie gehört. Fauchten sie, so ging er bedauernd weiter, man kann nicht spielen, schade. Aber wie es so ist, dreimal nahmen rasende Mutterkätzinnen gerade ihn aufs Korn. Er lief an einem Zaun entlang, sprang zur Seite,

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