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Allawa

Allawa

Titel: Allawa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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dieses Warten, bis er an die Reihe käme, geduldiger Verzicht für die unverständlichen Vorhaben der Menschen, stummes Vertrauen, daß er verstanden würde, Verbindung auf Lebenszeit, wie immer wir waren; Treue ohne Gedanken an Sicherung. Lauter Bewertungen aus menschlicher Sicht, müßig auch deshalb, weil einem Hund keinerlei Wahl offensteht — aber nichtsdestoweniger, auch Fingal lebte etwas uns selten Erreichbares als Selbstverständlichkeit vor.

    In seinem achten Jahr zog ich mit ihm allein in eine andere Stadt. Er paßte sich an, nahm mit Pflastergängen vorlieb, fuhr Trambahn, stieg vorfreudig in meinen Wagen, der die Hoffnung auf Wald und Wiesen bedeutete. Nur sein Tanzen und Singen bei jeder Rückkehr in die alten Gegenden verriet, daß er mir zuliebe geduldet hatte und jetzt auflebte.
    Ich wohnte im vierten Stock; wenn er mir, ungefähr alle zwei Wochen, auf dem Abendspaziergang entkam, hatte ich meine vereinten Nervenkräfte aufzubieten. Nach Mitternacht ging ich nicht mehr hinunter, sondern wartete bei offenem Fenster auf der Straßenseite, damit ich sein Heimkehrheulen als erste im Quartier hörte. Ein Fortschritt war, daß er ab etwa zwei Uhr kein weißes Verhandlungstuch mehr vorschrieb. Vielleicht wußte er, daß ich um diese Zeit schon zerrüttet genug war, um ihn nur aufatmend willkommen zu heißen, vielleicht trieb ihn die ungute Stadt zur Versöhnung um jeden Preis.
    Habe ich ihn denn je dafür bestraft, daß er zurückkam, fragte ich mich. Mit welchem schrecklichen Preis rechnet er? Irgendeinen Fehler muß ich irgendwann gemacht haben. Für seine zarte Seele war es wohl schon zuviel, »böser Hund« zu hören und ins Bett verbannt zu werden. Man müßte derart pädagogisch sein, daß man ganz ungeheuchelte Liebe produzieren könnte. Und Nerven wie ein Nilpferd haben. Ach Unsinn, man braucht einen Hund ja nur bekümmert zu streicheln, deutlich sanft-bekümmert mit ihm zu sprechen; das wäre vor sieben Jahren das Richtige gewesen.

    Das Alleinsein mit Fingal erinnerte mich an die Zeit, in der ich so traurig daran herumgenagt hatte, daß Primus einen Hohlraum habe. Armer Primus, was sonst sollte er haben, wie sonst sollten die Hunde die großen Mitfühler sein. Wie sonst die großen Wahrnehmer, weit über unsere Fähigkeiten hinaus. Doch eben deshalb, weil kein Ich sie ausfüllt. Wir mit unserem Ich können Rat geben, eingreifen, bewußt verstehen und alles übrige , was das Ich so kann und was ein Hund nicht kann, aber zugleich sperrt es uns auch ab, während die Hunde durchlässig sind.
    Ich sah jetzt freundlich jeden an seinem Platz; weder traurig, daß wir Brücken bauen müssen, noch traurig, daß ein Hund zwar weiter vorn an der Gefühlsgrenze lebt, aber dort stehenbleibt. Unsere Brücke, tiefer im Landesinnern angelegt, konnte sein Haus am Ufer überspannen, falls wir sie bauten, und noch viel später müßten wir ihn über den Strom holen, befreien... Geh, sprich nicht immer so dumm in Bildern; aber ich sah unverbesserlich Bilder und Bilder, während mein Blick auf ihm ruhte.
    Im Zusammenleben mit Hunden waren wir Menschen die Nehmenden; noch sehr einseitig. Ich ertrug die intellektuelle Arbeit leichter, das berufsmäßige Kritisieren, Berechnen und Wortemachen leichter neben seiner Unschuld, und wenn es mehr dichterische Gedanken sein sollten, suchte ich sie, maß ich sie an seinem friedlichen Gesicht. Das Angreifende der Bewußtseinsvorgänge wurde durch sein Nichtwissen gemildert — ungeheure Wiederherstellungskräfte in seinem Anblick, ähnliche, wie man sie im Schlaf findet.
    Wald roch waldiger, Erde erdiger, Schatten, Sonne, Wind drangen tiefer in die Sinne ein, wenn ich teilweise auffing, was er wahrnahm. Der Preis dafür war die umgekehrte Steigerung: daß er widerspiegelte, was ich fühlte. Mein heimliches Wegstreben seufzte und winselte dann unbeherrscht, meine Sorge um jemanden irrte auf sechzehn geräuschvollen Krallen hin und her, mit klagendem Blick, bis ich an ein Unglück zu glauben begann. Jedesmal war es falscher Alarm.
    Allgemein ließ ich noch offen, ob Hunde von sich aus die Gabe des Voraussehens, des Fernsehens und der hellsichtigen Menschenkenntnis haben. Es konnte wahr sein, eigentlich lag es ja nahe, aber ich selbst hatte keine Beweise erlebt. Primus, der ganz auf die sichtbare Welt und seine fragwürdigen Taten in ihr gerichtet war, lehnte Parapsychologisches ohnedies ab; Fingal , dem ich mediale Fähigkeiten zugetraut hätte, kam nie in die Lage, sie

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