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Allawa

Allawa

Titel: Allawa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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während ich etwas Kugeliges fliegen sah, kam angsterfüllt zu mir gerannt, auf dem Genick eine gräßliche Reiterin, eine Erinnye, die ihn huckepack umklammerte. Es gelang mir nur mit Mühe, sie herunterzureißen, sie hatte so viele Füße, mit denen sie nach seinen zugekniffenen Augen und nach mir schlagen und sich festkrallen konnte, unter furchterregendem Zischen. Als sie verscheucht war, lachte er zu meinem Erstaunen, wenn auch etwas zittrig. Die beiden andern Zwischenfälle verliefen weniger dramatisch, bis auf zerfetzte Strümpfe.
    Eine Weile lang kampierte er mit mir im einstigen Elternhaus, wo Primus gelebt hatte. Schlangen, Igel, Fledermäuse fand er verwunderlich, nein, was es nicht alles gibt. Als eine Maus schreckgelähmt in seiner Futterschüssel sitzenblieb, bewedelte er sie ermunternd und auch gelächert : wie kann man nur so klein sein. Ich stellte sein Bett neben den Tisch, auf dem die Eß -waren standen, damit er die Mäuse vertriebe. Aber er fraternisierte. Wenn ich hereinkam, wedelte er mir mit einem bestimmten Mauszwinkern zu, während die lieben Kleinen weghuschten. An diesem alten Schauplatz war es doppelt tröstlich, daß Mordtrieb sich in Wohlmeinen aufgelöst hatte.

    Aber Fingal war nicht nur ein Tierfreund, ein Spielratz, ein kleiner Nervenschinder, ein Anhängling , ein hübscher und überzüchteter Hund. Auch hinter ihm fühlte man das Größere, das hinter allen Hunden zu fühlen wäre. Jedesmal , wenn wir von unserer erhabenen Menschenebene aus fürsorglich, ärgerlich, belustigt, gerührt waren, korrigierte uns gleich darauf eine der Eigenschaften, womit die Hunde uns überragen.
    Schon allein seine Ahnungen. Er pflegte friedlich zu schlafen, wenn ich fort war, vorausgesetzt eben, daß er seine vertraute Umgebung und einen Ersatzmenschen hatte; als ich aber wegfuhr, um zum erstenmal zehn Tage fortzubleiben, heulte er. Ein andermal brachte ich ihn im Auto heim, mit der Absicht, ihn nur abzusetzen; statt wie üblich freudig vorauszulaufen, blieb er im Wagen, hartnäckig aufgerichtet — er wußte, daß ich nicht im Haus bleiben würde. In vielen Hundegeschichten kamen Beobachtungen dieser Art vor.
    An Kreuzwegen sah er sich nach mir um, witterte kurz, schlug die Richtung ein, die ich vorhatte. Ich konnte mir kaum denken, daß Absichten tatsächlich irgendwie röchen; es schien mir deshalb ungenügend, den Hunden einen Geruchssinn zuzuschreiben, der zwar bedeutend feiner, aber dem unsrigen doch ähnlich wäre. Ähnlichkeit fand ich eher zwischen ihrer Nase und unseren Augen und Ohren: so, wie wir jemandem vielleicht ansehen, anhören, was er plant, so benützen sie ihre Nase — zur gewöhnlichen, psychologischen und übersinnlichen Wahrnehmung. Nach alten Sprachwendungen zu schließen war das Riechen auch bei uns einst mehr gewesen, aber wir hatten zwei Seiten davon verloren, und die Hunde besaßen sie noch. Nasopathie , Sehen durch die Nase.
    Oder Fingals Atavismen. Im Wald zogen ihn laubgefüllte Mulden an, er drehte sich viele Male darin und ließ sich mit geistesabwesendem Blick nieder. Wir mußten stehenbleiben, warten, man darf jemanden nicht stören, der einem Rätsel nachsinnt. Aber er konnte das Geheimnis nicht fassen, irgend etwas Fernes durchzog ihn — was war es nur, warum sitze ich hier, mitten im Wald, auf einem Spaziergang, vor meinen Leuten? Langsam kam er wieder zu sich zurück, oder in Wahrheit von sich ab, er stand enttäuscht auf. Sein Traum bewegte uns, wir deckten Scherzgirlanden über den Ernst, das Mitleid, und sprachen oft vom Notizbuch seiner Großmutter, das unter seinem Kissen liege: die Schrift verblaßt , unentzifferbar, nur im Traum lese er darin, verstehe die Hinweise, könne sie noch brauchen. Bei Tag hatte diese Lenkung ihn weitgehend verlassen; Hunde hingen jetzt von Menschen ab.

    Das Streunen, ein flatternder Nebelfetzen, verschleierte Fingals Treue. Das Heulen gab ihr die Färbung haltloser Schwäche; unter Treue stellte ich mir etwas Gefaßtes , Aufrechtes vor, nicht Abhängigkeit. Und daß er ein weißes Tuch sehen mußte, um heimzukommen, wirkte wie eine verstimmende, verkleinernde Bedingung.
    Aber wenn man gerechter hinsah, war dahinter doch die absolute Treue, die beispielhafte, oft besungene. Nebensächlich, wie er sie im einzelnen ausdrückte: daß er krank wurde, wenn ich länger fort war, daß er nie streunte, wenn ich krank war, daß er sich weigerte, mit anderen Menschen als seinen drei nächsten auszugehen. Die Größe lag im Ganzen:

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