Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
Vom Netzwerk:
Tickst du noch ganz richtig?«
    »Weißt du, Dad, ich kenne da so einen Typen - Norm ...« Wade wurde bewusst, wie albern dieses letzte Satzfragment klang: Ich kenne da so einen Typen, Norm ...
    »Und?«
    »Er braucht Unterstützung bei einem Projekt ...« »Und?«
    »Ich wollte ihm helfen, und ich dachte, vielleicht könntest du, du weißt schon, auch mitmachen.«
    »Wobei? Und wie viel krieg ich dafür?«
    Das klingt fast so, als hätte er keine Skrupel. »Du? Zehntausend, und es ist nichts weiter als ein kleiner Tagesausflug ganz in die Nähe.«
    Eine Pause: »Okay.«
    »Was - du willst keine Einzelheiten wissen?«
    »Ich will das Geld. Die Einzelheiten überlasse ich dir.«
    Ein kurzes Zögern. »Es war sehr nett von dir, an mich zu denken, Wade.«
    Die beiden Männer verabredeten, wann Wade Ted am nächsten Morgen abholen sollte, und legten auf. Wade fühlte sich wie der Weihnachtsmann. Er ging wieder zurück ins Zimmer, wo er, Beth und Janet vor dem History Channel eindösten. Ungefähr um drei wachte er auf und konnte nicht wieder einschlafen. Er ging auf den Balkon hinaus, wo ihn die trägen, dumpfigen Überreste eines Golfwindes einhüllten. Er schaute zum Mond hinauf, der voll oder zumindest fast voll war. Wenn es die Menschen nie gegeben hätte, würde derselbe Mond dennoch an derselben Stelle stehen, und nichts daran wäre anders, als es heute ist. Wade versuchte sich Florida vorzustellen, bevor es von Menschen besiedelt wurde, aber es gelang ihm nicht. Die Landschaft schien allzu nachhaltig kolonisiert zu sein - die Wohnwagen, Factory-Outlets und Cocktailbars der Welt dort unten. Er kam zu dem Schluss, dass die Menschen den Mond, falls sie ihn ja eroberten, wahrscheinlich einfach in Florida verwandeln würden. Vermutlich war es nur gut, dass er so weit entfernt war, so unerreichbar.
    Dann dachte Wade an seine Mutter, die vor seinen Augen mehr und mehr verfiel - und doch auch irgendwie jünger war als je zuvor - sie weiß jetzt über gewisse Dinge Bescheid, Dinge, von denen selbst ich bis vor kurzem keine Ahnung hatte: die Abgründe der Sexualität - sie hat so viele Türen geöffnet -, und wieder verspürte er einen der zahllosen Stiche der Scham, die ihn immer dann quälten, wenn er daran dachte, wie sein Vater sich aufgeführt hatte, wie er selbst sich verhalten und was er damit seiner Mutter angetan hatte - mit seinem Herumgehure und seiner Dummheit.
    Zumindest gab es morgen Geld, und vielleicht wurde Wade jetzt endlich diese Schläger aus Carson City los, die vor der Eigentumswohnung parkten, die er und Beth bewohnten, und nachts um eins die Scheinwerfer aufblendeten. Und eventuell blieb noch etwas übrig, um irgendwelche neuen Kombinationen von HIV-Medikamenten auszuprobieren. Und die Zehntausend für Dad? Peanuts. Endlich kann ich ihm einmal einen größeren Gefallen tun.
    Das Leben war eigentlich einfach: eine Frau, um die er sich zu kümmern hatte, und ein Baby unterwegs - ein kleines Nest, das zu beschützen war, und diese übermächtige Welt, die nur darauf wartete, sich auf das traute Heim zu stürzen und es in Stücke zu reißen. Wade dachte an das Blut, das durch seine Adern floss - seine Beine und seine Zehen, seine Fingerspitzen und seine Kopfhaut -, und er versuchte, ganz still zu sein, um herauszufinden, ob er spüren konnte, wie es sich in ihm bewegte, aber nichts. Wir dürfen unser Blut genauso wenig spüren wie die Rotation der Erde. Er dachte an sein AIDS. Als er es Sarah erzählt hatte, hatte er gesagt: »Es ist wie eine Zeitmaschine, Schwesterchen.«
    »Nimm das nicht so auf die leichte Schulter, Wade.«
    »Das tu ich gar nicht, Sarah. Es ist die reine Wahrheit.«
    »Inwiefern ist es die Wahrheit?«
    »Wenn wir vor hundert Jahren gelebt hätten, wären wir beide schon tot. Du wegen deines geplatzten Blinddarms in der dritten Klasse - oder einer infizierten Wunde.«
    Sarah hatte erwidert: »Oder sie hätten mich gleich nach der Geburt ertränkt.«
    »Leben und Tod liegen sehr dicht beieinander. Ich? Verdammt, ich wäre bereits auf hundert verschiedene Arten gestorben. Daher denk ich mir, dieses Virus stellt einfach bloß die Uhren dorthin zurück, wo sie stehen sollten. Alte Menschen sind etwas Unnatürliches.«
    »Glaubst du das im Ernst?«
    »Ja.«
    »Entschuldige, wenn es mir schwer fällt, deine Meinung zu teilen.«
    Wade hatte die Härte in Sarahs Stimme bemerkt. Sie hatte ihn gefragt: »Bist du in der Lage, dir einen Job zu suchen und zu arbeiten?«
    »So halbwegs. Ich gebe

Weitere Kostenlose Bücher