Alle Familien sind verkorkst
Dame hier.«
»Nun, dann haben Sie bereits mehr als genug zu essen für Sie beide - wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.«
»Danke, Steve, aber ich würde gern noch mehr bestellen. Es gibt doch wohl in New Smyrna Beach keine Verordnung, die einem vorschreibt, wie viel Essen man bestellen darf, oder?«
»Nein, Sir.«
»Gut.« Florian orderte zehn Vorspeisen und äußerte zu jeder detaillierte Sonderwünsche.
Steve wirkte nachdenklich und amüsiert zugleich. »O Mann, der Koch wird ausflippen.«
»Das Leben ist da, um es zu genießen, stimmt's, Steve?«
»Ja, Sir.«
»Man muss jeden Moment leben und das Schöne daran festhalten. Spaß, Spaß, Spaß haben. Jetzt ab in die Küche, Steve. Wir sind halb verrückt vor Hunger.«
Janet sagte: »Sie haben wohl einen gesunden Appetit heute?«
»Ja, und ich werde dem Jungen als Trinkgeld meine Piaget-Uhr geben. Also, Sie haben mir am Telefon etwas von einer neuen Creme gegen Rosazea erzählt -«
»O ja, allerdings.«
Die beiden sprachen zehn Minuten lang über legale und illegale Hautpflegeprodukte, bis die Angestellten begannen, ihnen verstohlene Blicke zuzuwerfen. Kurz darauf kam der Koch heraus. »Wollen Sie sich etwa über mein Essen lustig machen?«
»Im Gegenteil, ich erweise ihm Ehre.«
»Sie sind wohl ein ganz Schlauer?«
»Nein, ich bin ein Gast. Ich bin sicher, Sie sind ein exzellenter Koch, und ich freue mich auf alle Gerichte, die ich bestellt habe. Das Shanty ist im ganzen Bezirk mit der Vorwahl 904 für sein gutes Essen und die gesellige Atmosphäre bekannt. Das weiß doch jedes Kind. Jetzt gehen Sie kochen, mein guter Mann.«
Der Koch machte ein verdutztes Gesicht und ging. Steve wartete noch.
Florian sagte: »Steven, mein Junge, Massen von dicken Leuten mit Massen von dick machendem Essen zu füttern ist sehr, sehr gut für Amerika.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen, Sir. Und Steve reicht.«
»Wie bei allem im Leben, Steve, geht es nur um Zahlen, Zahlen, Zahlen. Viele dicke Menschen bedeuten viele glückliche Bauern, glückliche Hersteller von Agrochemikalien, glückliche Lastwagenfahrer, glückliches Fast-Food-Personal - sie alle profitieren davon. Fettleibigkeit belebt die gesamte Wirtschaft mit einem Tsunami des Wohlstands.«
»Aber dicke Menschen haben, wie man weiß, mehr gesundheitliche Probleme.«
»Das ist doch das Schöne daran, Steve. Gegenwärtig befinden wir uns genau auf der Kippe zwischen einer fettleibigen und einer wohlhabenden Gesellschaft. Wenn alle Amerikaner nur hundert Gramm zunehmen würden, wäre das Gesundheitssystem überlastet, und darunter würde die Ökonomie leiden. Wenn dieselben Amerikaner alle nur hundert Gramm abnähmen, Steve, würde es mit der Wirtschaft rapide bergab gehen.«
»Aus dem Blickwinkel habe ich Übergewicht noch nie betrachtet.«
»Tja, jetzt haben Sie.«
»Stimmt, Sir.« Steve ging ab. Florian wandte sich Janet zu. »Was ich vorhin gesagt habe - dass es im Leben nur um die positiven Momente geht -, war gelogen. Ein dummer Scherz.«
»Ich bin froh, dass Sie das sagen.«
»So weit ich sehen kann, Janet, ist das Leben nichts anderes als ein endloses Bankett von Verlusten, und jedes Mal, wenn einem ein neuer Verlust aufgetischt wird, muss man sein mentales Mobiliar umräumen und Sachen aussortieren, doch inzwischen gibt es weitere Verluste - es ist ein wahrer Teufelskreis.«
»Es ist, als hätten Sie meine Gedanken gelesen. Das Leben ist eine Schüssel voller Kettensägen.«
»Das ist nicht schwer. Ihr Blick sagt alles.« Florian trank sein Glas aus. »Wann sind Sie drauf gekommen?«
»Ich war total naiv. Ich hab dem Drehbuch geglaubt, das ich in die Haut gedrückt bekam. Und dann stand ich eines Tages Anfang der 80er in North Vancouver an einer roten Ampel, und pling! begriff ich, dass ich mich nun ein für alle Mal auf der Minus-Seite des Lebens befand und es mit der Plus-Seite vorbei war. Komisch, dass man erst viele Jahre, nachdem etwas geschehen ist, erkennt, wie tief dieses Ereignis einen berührt hat. Und Sie?«
»Mein Leben war voll davon - von Verlusten - dem Gefühl, dass Dinge einem entgleiten. Nicht in finanzieller Hinsicht - ich scheiße Geld - Geld mag mich - aber alles andere ist nie von langer Dauer.«
»Dafür werden Sie auf dieser Welt nicht allzu viel Mitleid ernten, Flor.«
»Aber ich will gar kein Mitleid, verstehen Sie?« Florian blickte in Richtung Küche. »Unser Essen ist unterwegs.« Er stand auf. »Entschuldigen Sie mich, ich muss eben eine Freundin
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