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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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zurück. Doch er dachte gar nicht daran, aufzuhören. Die Verrückten kamen immer sonntagnachmittags, und er ließ sie alle an der gleichen Stelle sitzen. Jeder von ihnen malte das Städtchen aus derselben Perspektive, die lange Straße mit den Häusern, rechts ein kleiner Hügel und am Ende, in der Ferne, die Kirche der heiligen Dymphna. In jedem Haus von Geel hängt so ein Bild, und jedes ist anders, obgleich die Verrückten alle am selben Ort gesessen und dasselbe Motiv gemalt hatten.
    »Könnten Sie mir ein paar Francs leihen, Madame?«
    Gleich nach dem Aufstehen war ich aufgeregt zu Madame Vanheim gelaufen. Ich entwickelte mich zu einer wahren Schauspielerin, Monsieur van Gogh.
    »Wozu brauchst du die denn?«
    »Ich würde sie gerne Gaston bringen. Er hatte Ärger mit der Bank. Ach, diese Banken!« Es kümmerte mich nicht, dass meine Lüge schnell durchschaut werden konnte. Ich musste das einfach tun, anders hätte ich mein Ziel nie erreicht.
    »Nimm sie dir aus der Dose im Regal neben der Eingangstüre, und denke daran, dass du heute früh zu Hause sein musst.«
    »Warum denn?«
    »Doktor Tarascon kommt in ein paar Tagen, da muss das Haus blitzblank sein. Ich erwarte, dass du mir hilfst, Teresa. Gerade bei einem so wichtigen Anlass.«
    »Ja, gut, Madame.«
    »Dann geh jetzt, aber sei bald zurück.«
    Ich nahm das Veloziped und fuhr quer durchs Dorf, vorbei an den weißen Häusern, bis zum Laden von Monsieur Zoek. Er war überrascht, mich zu sehen: »Teresa, was willst du denn hier?«
    »Farben. Und eine Leinwand.«
    »Aber so was kostet viel Geld.«
    »Ich habe Geld.«
    »Du möchtest malen? Dann brauchst du auch Bleiweiß und Firnis.«
    »Ich habe ein paar Gulden, schauen Sie, was ich dafür bekommen kann. Eine Palette und einen Pinsel brauche ich auch.«
    »Ich gebe dir ein paar alte von mir. Dann musst du mir aber zeigen, was du gemalt hast.«
    »Das mache ich.«
    Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Vielleicht wollte ich Ihnen einfach helfen. Doch vielleicht, wer weiß, habe ich Ihnen gar nicht geholfen.

    »Sie sollen besser hinschauen, habe ich gesagt.«
    »Da ist aber nichts.«
    »Doch! Sind Sie blind?«
    Von oben sah ich Ihren Rücken, Ihre roten, von der Feuchtigkeit gekräuselten Haare und Ihre stämmigen Beine. Es war dunkel in der Höhle, in der ich mich stets verkrochen hatte, wenn ich verschwinden wollte, damals, als ich noch bei den De Goos’ wohnte, und Sie fanden überhaupt nichts. Sie tappten ungeschickt umher, suchten aber voller Eifer. Wie ein Kind. Am Morgen hatte ich Sie mit der Bemerkung geweckt: »Ich habe eine Überraschung für Sie.« Sie machten große Augen und willigten ein, mir zu folgen, auf Icarus’ Felder.
    »Aber was ...«, sagten Sie, als Sie die Leinwand fanden, die ich für Sie gekauft hatte. »Suchen Sie weiter.« Die Palette hatte ich hinter einem Stein versteckt, und sie zu finden war ein hartes Stück Arbeit für Sie. Und es gab etwas Weiß, etwas Schwarz, Gelb, Rot und Blau. Dazu Bleiweiß und Firnis, die vollgekleckste Palette, eine Leinwand und einen Pinsel.
    »Es wäre schön, wenn Sie ein Bild für mich malen könnten.«
    »Ich habe noch nie im Leben ein Bild gemalt.«
    »Ich würde mich freuen. Bald gehen Sie fort, und ich hätte gern ein Andenken an Sie.«
    »Ich male nicht.«
    »Ich weiß, dass Sie zeichnen.«
    »Wer hat dir das erzählt?«
    »Madame Vanheim.«
    »Wirklich? Ihr gefallen meine Zeichnungen nicht. Sie gefallen niemandem. Nur meinen Eltern. Als ich klein war, zeichnete ich für sie. Doch wenn sie mich dann mit Lob überschütteten, zerriss ich alles!«
    »Nun hören Sie doch auf, sich so zu zieren, und zeichnen Sie für mich.«
    »Was denn?«, fragten Sie, doch Sie wussten schon ganz genau, was Sie tun mussten, Sie hatten ein irrsinniges Verlangen danach, endlich anzufangen und die Leinwand unter Ihren Händen zu spüren. Ich wusste, Monsieur van Gogh, dass dies das schönste Geschenk war, das ich Ihnen machen konnte.
    Sie nahmen also die Leinwand, legten sie auf einen großen Stein und zogen einen Stift aus der Tasche. Ich hörte ein Kratzen. Sie begannen und hatten schon alles klar im Kopf.
    »Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du da sitzt.«
    »Seien Sie doch nicht so umständlich, Monsieur! Dann setze ich mich eben hierhin.« Ich rückte ein Stück weiter. »Ich bin gar nicht da.«
    Es war ein entschiedenes, zunächst langes und dann kurzes Kratzen. Ein schwacher Wind blies, und ich hatte die Sonne im Gesicht. Ich stellte mir die

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