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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Monsieur van Gogh, bis zum letzten Wort.
    Ich ging in mein Zimmer hinauf und zog mich aus, setzte mich in den Waschbottich und goss mir langsam einen Krug warmes Wasser über den Körper. Alle meine Nerven entspannten sich unter dieser Wohltat. Ich fuhr mir mit den Händen durchs Haar. Fuhr mir mit der Seife die Beine entlang. Und über die Brust, die nicht wuchs.
    Ich gefiel mir, Monsieur van Gogh.
    An jenem Nachmittag war mir plötzlich, als wollte mein Körper zerspringen, ich spürte, dass dieser Körper nach Ihnen verlangte. Ich möchte Sie nicht vor den Kopf stoßen, Monsieur. Bitte lesen Sie weiter und denken Sie nicht schlecht von mir. Ich war damals in Sorge um Sie, ich wusste aber auch, dass Sie das Bewusstsein wiedererlangt hatten und dass Ihnen die Angst im Nacken saß.
    Noch etwas anderes ist mir in Erinnerung geblieben, ebenso stark wie der Schrecken, den ich auf dem Feld bekommen hatte. Vielleicht lag es an jenem Tag, an den Farben, an den Worten oder vielleicht nur an unserer Umarmung, in der ich die Kraft Ihres männlichen Körpers an meinem gespürt hatte.
    Ich stand im Waschbottich auf.
    An der gegenüberliegenden Wand war ein Spiegel.
    Ich schaute mich an.
    Ich begann zu träumen.
    Von Ihnen. Sie kommen durch die Tür hinter mir ins Zimmer und sehen mich so, ich bemerke Sie im Spiegel, wieder durch ein Glas, wie beim ersten Mal. Sie stürzen nicht davon, bitten mich nicht um Verzeihung; was auch immer Sie von mir wollen, ich bin bereit, es Ihnen zu gewähren, Sie umarmen mich, sagen etwas, doch die Worte dringen nur gedämpft zu mir, ich spüre eine Hitze und unter meinen Händen Ihr duftendes Hemd, ich suche seine Knöpfe, das Hemd fällt zu Boden, ich spüre, wie Sie sich aufrichten, Sie stehen vor mir, umkreisen mich, ohne mich loszulassen, da ist Ihr Gesicht an meinem, Ihre Lippen, die Brust, meine Fingerspitzen und dann meine Fingernägel auf Ihrer Sommersprossenhaut.
    Meine Hand fuhr an meinem Bauch hinunter zu der Stelle, wo ich mich nicht sehen konnte, die ich mir nie angesehen hatte, die man sich nicht ansehen durfte. Hin zu jener unbekannten, dunklen Welt. Ich wusste, dass das verboten war, dass ich verrückt werden würde wie meine Mutter, doch meine Hand glitt weiter, und es war ein schöner Gedanke, dass dieser ganze Körper mir gehörte, nur mir, und dass auch Sie mir gehören könnten, mit diesem Körper, und dass Ihre Bilder mir zeigen könnten, was ich nicht von mir wusste, dass Ihre schönen Worte mir etwas erzählen und ganz und gar mir gehören könnten. Nicht Icarus sollte mich mit sich fortnehmen, sondern Sie, der unfreundliche, schwermütige Wanderer, und meine Mitgift würde Ihnen die Zeit geben, Maler zu werden, mehr interessierte mich nicht. Ich würde auch in Armut leben, auf Heuböden schlafen, nur um bei Ihnen zu sein und Ihr Schweigen mit Farben zu füllen. Meine Finger wanderten weiter, zum ersten Mal spürte ich diese sonderbare Haut, faltig und weich, so ganz anders als die übrige Haut, ich schloss die Augen, weil sich etwas regte, aus dem innersten Mark , und stärker wurde, es überflutete mich wie ein Strom, entflammte mich wie ein Feuer, es machte mich zu einem neuen Menschen und ergriff vollständig Besitz von mir.
    Ich war bereit für Sie.

    »Teresa, wo hast du bloß gesteckt? Meinst du wirklich, heute ist der richtige Tag, um zu spät zum Essen zu kommen?«
    »Entschuldigen Sie, Madame, mir war schwindlig«, antwortete ich, allerdings in dem frechen Ton, wie ihn Kinder haben, wenn sie sich plötzlich erwachsen fühlen.
    »Da hast du uns ja einen schönen Tag beschert. Ausgerechnet heute, wo wir für Doktor Tarascon alles herrichten müssen, hast du ... Aber wir sprechen uns noch, Teresa!«
    »Darf ich nachsehen, wie es unserem Gast geht?«
    »Das ist wohl nicht angebracht.«
    »Ich halte es sehr wohl für angebracht, zu wissen, wie es ihm geht, Madame.«
    Monsieur Vanheim, erstaunt darüber, dass ich mich so anmaßend verhielt, wo ich doch sonst immer so folgsam war, wollte mich zurechtweisen, doch seine Frau schnitt ihm das Wort ab: »Ich war gerade unten. Er schläft.«
    Eher enttäuscht als verärgert sah sie mich an. Sie war zwar wütend auf mich, weil ich sie belogen hatte, weil ich behauptet hatte, ich ginge zu Gaston, vor allem aber machte sie sich Sorgen, es könnte geschehen sein, was nicht geschehen durfte. Die Leute werden schnell argwöhnisch. Sofort malen sie sich wer weiß was aus.
    Ich hatte ihr Vertrauen verloren, verstehen Sie?
    An jenem

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