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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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gelesen und wie im Rausch ein zweites Mal gelesen, und vielleicht noch einmal; erst gegen Morgen war ich schlafen gegangen. Brieflich hatte ich
um einen Besuch gebeten. Eine Postkarte kam zurück: »Wenn Sie einmal in München sind...« Natürlich war ich nie »einmal in München«. Ich fand eine Mitfahrgelegenheit mit griechischen Studenten aus meinem damaligen Tübinger Studentenwohnheim. Sie hatten einen alten schwarzen Mercedes. Ohne Anlasser. Wir fuhren zu fünft. Alle rauchten. Vier mußten bei jedem Halt anschieben. Wir schafften es bis München. Ich kam gerade noch pünktlich. Wann machst du denn Abitur? fragte er mich an der Tür.
    Er erzählte, daß er ein Magazin »TransAtlantik« plane. Ich sagte, daß bei ihm immer Schiffe vorkommen und daß ich sein Gedicht »Hurtigrute« liebe. Er überlegte, dann sagte er, ja, er habe Angst vor Wasser, er könne nicht richtig schwimmen. Er fragte, ob ich schreibe. Klar, sagte ich, Schwäbisches Tagblatt. Da fragte er, ob ich bei der TransAtlantik mitmachen wolle.
    Später hat er uns in Saloniki besucht. Vor dem Kloster Vlatadon über der Altstadt saßen wir nebeneinander auf einer Bank und sahen auf die große Pfauenvoliere. Der Apostel Paulus hatte hier gepredigt. Darwin, sagte er, und zeigte auf die Vögel mit den umständlichen schönen Schleppen aus Schwanzfedern, Darwin habe vielleicht doch nicht recht gehabt.
    Als er später vor Manfreds Studenten die Verse »Finnischer Tango« las, hatte er für einen Moment ein kleines Problem mit der Stimme.
    »Wie hell der Sommer hier ist und wie kurz.«
    Es war ihm wichtig, Salz mitzubringen, für seinen
Bruder Christian. Und Zigaretten, ganz bestimmte. Von früher. Griechenland ist ein verschwundenes Land, sagte er. Dann kaufte er ein Päckchen Meersalz und vom Kiosk diese Papirossi, glaub’ ich.

Sonntag
    Olivenkerne. Diskussion um den Siebenschläfer. Manfred hat ohne mein Wissen nach Zürich an einen Schädlingsbekämpfungsspezialisten geschrieben. Jetzt steht eine sehr viel größere Siebenschläferlebendfalle in der Waschküche. Sie hat zwei Klappen an zwei Federn; sie sieht nicht aus wie ein Kästchen, sondern wie ein Durchgang.
    Wenn wir ihn fangen, könnten wir ihn zähmen, sage ich, als ich sehe, wie Manfred ein Kombination aus Paranuß und Parmesan an den Haken nestelt. - Wir haben schon einen Eurasier, einen Dschungarischen Zwerghamster und ein Becken mit grundelnden Urzeitkrebsen, sagt er tonlos. - Er ist standorttreu, sage ich. Er kommt zurück. Lies Karl Jaspers, Heimweh und Verbrechen! - Wenn ich ihn fange, antwortet mein Mann, fahre ich ihn über alle Berge, über den Flüelapaß oder den Maloja hinunter nach Italien.
    Später suchen Matthias und ich Siebenschläferbilder im Internet. Er ist zart und schön. Seine großen, schwarzen Augen scheinen mit Kajal umrahmt. Sein Fell glänzt silbern braungrau, am Bauch ist es weiß. - Und weißt
du, wie er schläft, rufe ich Manfred zu: Er schläft auf dem Rücken. Er legt sich seinen buschigen Schwanz über seinen Bauch wie eine Decke. Und die Ohrmuscheln klappt er über die Gehörgänge, so verbraucht er am wenigsten Energie. Seine Körpertemperatur sinkt von 35 Grad auf ein Grad, der Herzschlag reduziert sich von 350 auf drei Schläge in der Minute. Manchmal hat er Atempausen von bis zu einer Stunde!
    Doch Manfred sagt nur leise: Wenn er denn schläft. Er stinkt!

Montag, 30. November
    Romanisch lernen: Ich lerne in der Gruppe mit Ruedi, einem ehemaligen Radioredakteur aus Zürich, der jetzt in Sent wohnt und Dokumentarfilme macht, und mit dem jungen, immer braungebrannten Christian, der im Schweizer Nationalpark arbeitet und aus dem Oberengadin zu uns nach Sent kommt. Wir üben bei uns in der Bibliothek. Unsere Lehrerin ist Nesa, eine ehemalige Hauswirtschaftslehrerin, die für Feriengäste in Sent auch Kurse in Engadiner Eßkultur gibt. Wir mögen uns. Ruedi, Christian und ich sind keine guten Schüler, aber Nesa sagt, sie habe noch schlimmere.
     
    Manchmal gehe ich zu Leta, der ehemaligen Senter Lehrerin, deren Mann Förster war. Sie wohnen am Südrand von Sent in einem kleinen Wald mit Fichten, Föhren,
Arven, Kiefern; Weiden und Erlen stehen um einen angelegten Froschteich. Leta ist Organistin und plant das Konzertprogramm in der Kirche von Sent. Um meine Schwierigkeit mit dem Romanischen zu beschreiben, habe ich einmal zu Leta gesagt: Es ist verrückt, beim Konjugieren eines romanischen Verbs kann es mir passieren, daß ich anfange zu heulen.
    Da sagte

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