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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Der See schimmert, die Brücken, die Schaufenster sind erleuchtet. Ich gehe an Präsentationen von schönen Dingen hinter Glas entlang, Fronten von Schmuck, von Uhren. Sind das Äußerungen eines Balzverhaltens?
    Ich bemerke, daß ich fremdle. Oder ist es schon ein Fremdschämen?
    Ich überlege kurz, ob ich für den Kurs in dieser Stadt gut genug angezogen bin. Ich trage Schwarz; meine Schutzfarbe, meine Tarnfarbe. Es wird schon passen.

11. Dezember
    Heimfahrt nach Sent. Regen in Luzern, Regen in Thalwil, ab Sargans Schnee. Mir gegenüber sitzt eine schmale Frau in einem grauen Hosenanzug, die jetzt ihre silbernen Wildlederpumps von den Füßen streift und sie gegen feste, schwarze Winterschuhe mit Profilsohle tauscht. Häufig wechseln Frauen, die aus dem Unterland kommen, im Zug ihre Schuhe.
    Ich trage nur noch Wanderschuhe oder unauffällig
schwarze Laufschuhe. Ich mag schöne Schuhe, besonders Schuhe mit Absatz, aber im Dorf auf dem Kopfsteinpflaster wären sie nur albern. Manchmal stecke ich welche für eine Lesereise ein, aber auch nicht mehr immer. In Sent sehen wir alle ziemlich gleich aus. Pullover, Fleece-Jacken, Hosen, Anoraks, Funktionskleidung. Die Jungen sind ein wenig bunter als die Generation der Eltern und Großeltern. Einkaufen in Sent oder Scuol ist eine Sache von wenigen Minuten. Die Geschäfte sind solide und überschaubar, Einheimische bekommen meist 10 Prozent.
    In den ersten Monaten nach unserem Umzug haben wir manchmal im 20 Minuten entfernten Österreich eingekauft. Vielleicht war die Butter im Supermarkt dort billiger und man bekam Capellini, diese dünnen Nudeln, die es im Coop in Scuol nicht gibt. Und in Landeck, noch einmal 30 Minuten weiter, beginnen größere Geschäfte mit Sonderangeboten. Mittlerweile haben wir aufgehört, nach Tirol zum Sparen zu fahren.
     
    In Luzern kaufe ich für Matthias Ski-Handschuhe von Jack Wolfskin. Uns beiden gefällt die Werbezeile: »Draußen zu Hause«. Er wird sich freuen; er findet es gut, wenn seine Mutter ihm von einer Reise etwas mitbringt. Aber er geht auch mit Handschuhen aus dem Coop, die ein Zehntel kosten, skifahren.

14. Dezember
    Ein Morgen aus Glas. Selbst die Berge scheinen durchsichtig. Der Reif auf dem Balkon, der Schnee auf den Dächern, eine fragile, schwach bläuliche Helle.
    Die hohe Spitze des Kirchturms: eine Stimmgabel in den Himmel gehalten. Für ein wie oft gestrichenes Fis?
    Es ist kurz vor 11 Uhr morgens. Und ganz still. Wie vor einem Klirren.

17. Dezember
    Immer noch sehr kalt. Gestern kam Brigitte, eine entfernte Nachbarin, die ich kaum kenne. Sie trug einen großen Stern aus Eis im Arm. Sie war ganz dick angezogen, wollene Fingerhandschuhe. So, wie sie den Stern trug, mußte er schwer sein. Man müsse den Stern im Raum etwas antauen lassen, sagte sie und setzte ihn langsam auf den Boden. Dann könne man ihn draußen hinstellen, er friere an. Wenn man ein Licht dahinterstelle, leuchte er. Als der Hund bellte und ich ihn auf den Balkon schicken wollte, habe ich den Stern umgeworfen. Zwei Zacken brachen ab. Wir haben versucht, ihn zu reparieren; aber die Eisstücke froren nicht mehr zusammen.
    Am Abend kam Brigitte mit der Metallform. Wir haben sie vor die Haustür gelegt, auf Plastik. Dann den gebrochenen Stern in die Form gelegt. Die Plastikplane
mit Schnur an der Seite hochgebunden. Mit der Gießkanne heißes Wasser draufgegossen. Heißes Wasser friert schneller, sagte sie und: Ich bin der Sternendoktor.
    Heute morgen liegt der Stern da, gefroren. Ich soll ihn in die Wohnung nehmen, hat sie gesagt, er würde da, wo das Metall ist, schneller tauen, man würde ihn dann aus der Form lösen können. Ich trau mich nicht recht. Ich habe Angst vor dem Stern. Angst, er könnte nochmals brechen. Er ist schön. Ich hätte ihn sehr gerne vor der Tür stehen. Mit einem Licht dahinter.
     
    Am Abend an Not geschrieben, nach Peking, wie ich glaubte. Ich gratulierte ihm zu seinem Portrait, das in der Zeitschrift »du« erschienen ist. Heute morgen seine Antwort: Er sei gerade in New York angekommen und fliege morgen auf eine Insel vor Patagonien.
     
    Hundegang. Die Berge Richtung Oberengadin dunkeln samtig ein, vor einem noch blauen Himmel, der sich rötet. Das Spiel von Rot, Orange. Das Blau wird durchlässig für die warmen Farben. Chiffon, Seide, Glas. Immer wieder Glas. Eis. Frau Sternendoktor sagte auch, daß sie Luftballons mit Wasser fülle, und wenn dann die äußere Schale gefroren sei, kippe sie das Wasser im Innern aus. Das

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