Alle Farben des Schnees
kommt, steigt sie aufs Motorrad. (Sie sagt, sie habe überlegt, Klavier zu lernen. Ich zeige ihr meine Noten.)
Am Abend: Auf dem Reziadach liegt wieder eine dicke, weiche Decke. Drei Viertel des Daches sind bedeckt. Der Schwan ist im Schnee untergegangen.
Wir winken dem blauen Passat von Doris und Manu nach, und dann beschließen wir, auf die Piste zu gehen. Blauer Himmel, Sonne, Neuschnee, kein Wind, perfekte Schneekonsistenz, warm. Dieses wahnsinnige Licht. Die Snowboarder ziehen über die weiten, freien Hänge. Alle scheinen besoffen von Licht und Glanz und Blau. Um 14 Uhr Abfahrt nach Sent. Die Pisten sind noch gut, die Wege durch den Wald auch, erst als wir schon fast auf der Höhe des Dorfes sind, wird es ein wenig sulzig. Ist es heute das letzte Mal? Schaffen sie es, die Abfahrt über Ostern zu halten? Die Schlußwege sind mit Kunstschnee geflickt. Im Dorf plätschert das Schmelzwasser von den Dächern. Es riecht nach Frühling. Heiterer Karfreitag.
(Ich frage Manfred: Kannst du verstehen, daß ich einmal sehr gut mit ihr befreundet war? Daß wir uns sehr nah waren? - Ja, sagt er. - Du siehst, frage ich, daß sie eine Schönheit war? - Er lächelt.)
6. April
Heute morgen blauer, metallflacher Himmel. Kinoplakat-Azur. Wir sollten arbeiten und haben dann doch ganz einfach die Skier genommen. Der Bus 9.42 Uhr fährt direkt zur Gondel. 10.15 Uhr sind wir oben auf der Piste am Sessellift. Hinüber nach Mot da Ri, dann zum Champatsch, alle drei Pisten gefahren, wieder hinunter zum Lift, der nach Salaniva hinaufgeht. Von dort die 13-km-Abfahrt nach Sent. Um 11.45 Uhr waren wir zu Hause, kurz vor Matthias und Fabio, die gerade aus der Schule kamen. Und haben ganz schnell Nudeln gekocht.
7. April
»Bauern und Bären. Eine Geschichte des Unterengadins von 1650-1800« von Jon Mathieu ist vergriffen. Übers Netz bekomme ich noch ein antiquarisches Exemplar.
Ich habe das Wort Schneeleiden gefunden.
Die Senter Dächer nun praktisch schneefrei. Hinter dem Kamin vom Reziadach noch ein unauffälliger Fleck, wie vergessen.
Die Sterne heute nacht. Ich weiß nichts von ihnen.
8. April
Mit dem Hund hinaus. Neues, grünes Gras unter dem winterbraunen. In manchen Ecken auf dem Boden noch Schnee, auch bei uns im Garten auf der Fläche des ehemaligen Stalls, zwischen den Häusern. Sonne, ganz heller, leicht blauer Himmel. Die Vögel sind aufgeregt.
Manfred ist nach Basel gefahren.
Am Morgen findet er seine Scheckkartentasche mit dem Halbtaxabonnement für die Bahn nicht. Das macht ihn nervös. Als er schon weg ist, sehe ich das Etui unter einem Papier am Boden neben seinem Schreibtisch liegen. Ich suche die Nummer der Bahnstation in Scuol. Eine Frauenstimme sagt, ja, der Mann, der nach Basel wollte. Der Zug stehe noch da; sie gehe ihn gleich suchen und werde ihm sagen, daß die Sachen da sind. Als ich später mit Andreas spreche, sage ich: das ist doch wunderbar! Sie ist Papa einfach suchen gegangen, im Zug, nur um ihm zu sagen, daß er nicht beunruhigt sein soll. Mein Sohn antwortet: Mama, ihr habt immer noch kein Handy!
9. April
Die Saison geht zu Ende. Bus um 8.42 Uhr; eine knappe Stunde später oben auf Champatsch. Dieser Schlepplift ist einer der letzten, die wir noch aus unseren ersten Skiferien in Scuol kennen. Über den Sommer wird ein neuer
Lift von Ftan hinauf nach Prui gebaut. Er ist schneller. Ambivalente Gefühle. Ich höre auch nicht gerne, daß das mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gestoppte Projekt einer Bahnverbindung von Scuol ins österreichische Landeck wieder aufgenommen werden soll. Ich möchte sehr gerne am Ende der Bahnstrecke wohnen.
Die Pisten sind präpariert. Die kleinen Rillen, die die Schneekatzen hinterlassen, sind gefroren. Wenn man fährt, ist es sehr laut. Ein Knirschen, ein Rattern, fast ein Dröhnen, als verabschiede sich der Berg laut von den Skitouristen, es sind die letzten Stunden der Saison, dann der Ton von schwerem Gefieder, und noch tiefer, wenn der Schnee weicher wird, so, als ob ein Luftzug durch ein Zimmer ginge und große Bahnen von Seide aufbauschen.
Der Ausstiegsposten des Sesselliftes Salaniva steht schon auf Senter Gebiet. Gegen 11.15 Uhr fahren wir ab. Der Schnee hier oben ist immer noch locker. Nach einem etwas steilen Einstieg fährt man auf einer Hochebene und scheint nun an der gegenüberliegenden Bergkette mühelos vorbeizuziehen. Wie von gleich zu gleich, ein freundlicher Rausch. Nach breiten fallenden Hängen liegt links der
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