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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Graubünden noch keine Autos gab. War es der Krieg, waren es andere Gründe - jedenfalls kam es nicht zum Bau der Villa und zur Verwirklichung des Alterstraums. Als Luzio Crastan 1965 starb, verwilderte der Garten. 1998 konnte Not Vital die alte Anlage kaufen, und er begann unter Einbeziehung der schon vorhandenen Parkstruktur einen Garten nach seinen Ideen und mit seinen Skulpturen anzulegen.
Ein moderner Randulin antwortete einem älteren. Die Marmorwanne aus Lucca, in der Heine gebadet haben könnte, zitiert ein nicht eingelöstes Projekt.
     
    Für mich ist der Park ein ernster Spielplatz. An seiner steilsten Stelle steht, unmittelbar am Abhang, ein winziges Haus aus Muranoglas, wie ein Zimmer aus Eis. Da, wo der Park am tiefsten ist, hängt, dicht über dem tosenden Bach, eine geschwungene Holzhütte in der Form eines Schiffsbugs. Sie ist mit schwarzen Schaffellen ausgelegt, wie die Erfüllung eines Kindertraums. Von einer Felswand schauen Kamelköpfe herüber (bei der Biennale in Venedig ragten sie einmal je nach Ebbe oder Flut aus dem Wasser, als kämen sie direkt aus dem Meer), an einer andern hängt überdimensional der Schnauzbart von Nietzsche. Gleich daneben ist ein Rechteck aus 24-karätigem Gold in den Dimensionen des Goldenen Schnitts aufgetragen. Es heißt: Tor zur Hölle oder Fenster zum Himmel. Eines der jüngeren Objekte ist das Kuchenstückhaus, Not Vitals Vorschlag, das Problem der Zweitwohnungen zu lösen: Das hellgrüne Kuchenstückhaus mit dem rasenbewachsenen Flachdach ist, je nach Bedarf, in der Wiese versenkbar.
     
    Es gibt in diesem Garten Türme, auf die ich nicht steige, und Brücken, über die ich nicht gehe. Mutwillige Herausforderungen zu Grenzsituationen, etwa die Brücke aus metallenen Eselsköpfen, die auf fünf Meter hohen, schmalen Stelen angebracht sind. Tritt man auf die einzelnen
Köpfe, geraten die Stelen ins Wanken, und auch wenn man sich rechts und links an einem mitlaufenden Seil festhält, bleibt die Brücke unruhig. Sie schwankt umso mehr, je weniger man selbst im Gleichgewicht ist. Wir sind 14 Besucher, nur einer wagt es hinüberzugehen. Es ist ein Bergsteiger. Es gibt diese Brücke auch in einer niedrigeren Ausführung. Die schaffe ich.
    Silvia, Andreas, Matthias und Manfred gehen auch über die hohe Brücke, lächelnd. Ich gehe nicht, ebenfalls lächelnd. Ich glaube, ich würde es spüren, wenn ich gehen kann, und dann gehen.
     
    Nots Eltern kamen aus dem Uina-Tal. Sie waren Bauern. Sein Großvater hat mit Holz gehandelt und Holz transportiert. Not ging in Sent in die Schule, zwei Jahre aufs Gymnasium in Chur. Der Schweizer Kunsthistoriker und Sammler Max Huggler, der in Sent ein Maiensäss hatte, wurde auf den jungen Mann aufmerksam und förderte ihn. 1968 nach Paris, dann auf die Kunstschule in Vincenne. Reisen. In New York sei er fast verhungert, erzählt Not manchmal.
     
    Not wird unterstützt von seinem Bruder Duri, dem Architekten, der hilft, seine Ideen zu realisieren. Sein Neffe Mario hat die Hängebrücken im Val Sinestra gebaut; sein Großneffe Fadri hing bei Matthias’ Geburtstag halsbrecherisch an unserem Balkon.

     
    Wir kommen zur ehemaligen Bocciabahn, wo nun ein Biotop mit Seerosen angelegt wurde. Ich sehe, daß die Kois noch leben. Andreas war letztes Jahr dabei, als sie in Zürich gekauft wurden. So teure Fische, hat er damals gesagt.

29. August
    Fußballturnier. 8.15 Uhr. Wir treffen uns am Dorfplatz, fahren gemeinsam mit den Autos voller Kinder, Taschen, Decken, Sonnenschirme, Klappstühle, Hunde hinunter nach Scuol. Der Rasen auf dem Sportgelände ist noch naß vom Tau. 34 Mannschaften aus dem Unterengadin und dem Val Müstair werden gegeneinander antreten. Sent stellt fünf Mannschaften (Sent United, Newcastle Sent, Minikickers, Inter Sent, Juventus Sent). Die Trainer beginnen, die gesponserten Mannschaftstrikots an die Spieler zu verteilen. Die jüngsten Kicker sind sechs Jahre, die ältesten sind 16. Es gibt reine Mädchenmannschaften; viele Mannschaften aber sind gemischt. Der Scuoler Rasen ist in drei Felder aufgeteilt, so daß nebeneinander gespielt werden kann. 8.50 Uhr: Über Lautsprecher werden von einem Turnierwagen die ersten Mannschaften aufgerufen. 9.00 Uhr Anpfiff. Die Spiele dauern zweimal sieben Minuten. Das Turnier endet mit der Preisverleihung gegen 17.30 Uhr. Turniertage sind Sieben-Minuten-Tage ohne Zeit. Um die Spielfelder, auf denen in Haufenbildungen gekämpft
wird, schlendern Passanten, Großeltern, Onkel, Tanten,

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