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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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Kinder torkeln in überdimensionierten Trikots, schöne Mädchen flanieren und zeigen ihre langen Beine, Knaben kicken sich spielerisch Bälle zu. Kinderwagen werden geschoben, Hunde ziehen an Leinen, schnuppern. Die Sonne scheint und es ist kalt. Weiße Quellwolken ziehen über ein tiefes Himmelsblau. Die Gipfel der Berge sind weiß. Ab 11 Uhr wird der Grill angefeuert; dann gibt es Würste. Die Frauen bieten selbstgebackene Rüeblikuchen, Schokoladenkuchen, Nußtorte, Sahneschnitten an. Aus einer Kühltruhe wird Eis verkauft. Wir sind einen ganzen langen Tag draußen, sehen Antritte, Pässe, Flanken, Tore, feuern an und trösten, reden über die Kinder, den diesjährigen Steinpilzsegen, das Fischen und ob es schwierig sei, das Angelpatent zu machen. (Ich mußte es Matthias für nächstes Jahr versprechen. Wenn ich das Patent habe, darf er mit mir angeln. Alleine angeln darf er erst, wenn er 14 Jahre alt ist.) Am Abend haben wir alle ein bißchen Sonnenbrand im Gesicht. Die Luft aber riecht nach Schnee.

30. August
    Ich habe erst nachgefragt: Aber die Sekretärin schrieb, es sei kein Problem. Ich müsse nicht Romanisch können. Und meine Gedichte hätten gefallen.
    Ich bin in die »Uniun litteratura rumantscha« eingetreten.
(Ich setze darauf, daß sie mich als Maskottchen akzeptieren.)
     
    Auf dem Dorfplatz Iris. Sie schaut gegen die Berge. Schön heute, sage ich. Sie nickt. Und ich freue mich auf den Herbst, sage ich, auf diese Farben. Ja, sagt sie, ich warte immer auf die erste Birke, die gelb wird im Hang. Das ist dann wie ein brennendes Streichholz und bald leuchtet der ganze Wald.

31. August
    9.00 Uhr. Über Nacht ist der Schnee gekommen. Im Dorf regnet es, aber man könnte ein kleines Stück Richtung Waldrand hinaufgehen und dort durch die Schneeflocken laufen.
     
    Tagsüber Sonne und kalt. Schneelicht.
     
    Esther kommt vorbei, sie hat in Scuol die beiden Buchhändlerinnen vom Chantunet da cudeschs für eine Radiosendung interviewt. Sie feiern dieses Jahr ihr 15-jähriges Jubiläum.
    Ich koche Nudeln mit Mozzarella und Tomaten. Matthias kommt von der Schule. Wir essen zusammen. Bevor Esther fährt, graben wir Minze aus dem Garten aus. Sie will sie in Chur pflanzen. Was machen deine Reben, fragt sie. Ich zeige ihr die schon fast blauen
Trauben. Sie werden noch reifen. September und Oktober können sonnig sein.
     
    Am Abend. Ich sehe eine Jägerin in grüngrauer Jägerkleidung aus einem Haus kommen. Sie ist schmal. Sie trägt einen großen Rucksack, einen Schlafsack unter dem Arm, ein Gewehr. Ich will sie grüßen, aber sie biegt schon ab. In wenigen Stunden beginnt die Jagd. Sie hat sich nicht mehr umgedreht.
    Nächstes Jahr, denke ich, könnte ich fragen, ob sie mich mitnimmt.

1. September
    Mengia ist gekommen.
    Sie schneidet mir die Haare und erzählt:
    Als ich dann 16 war, nein eigentlich 15 (16 bin ich ja erst im September geworden), da bin ich nach Chur in die Lehre. Und weißt du, wir haben ja nur Romanisch gekonnt und ein bißchen Hochdeutsch aus der Schule. Aber es gab noch kein Fernsehen, wir konnten nur das Deutsch aus der Schule. Und da muß ich heute noch lachen, wenn ich daran denke. Da sagte mir mein Lehrherr: Mengia, tuasch d Schtäga putza. Und ich habe genickt. Putza habe ich schon verstanden. Aber Schtäga? Ich bin also hoch und habe den Eimer und den Lappen bereit gemacht und immer gedacht, was ist wohl Schtäga? Und da rief mein Lehrherr von unten: Mengia,
fängst du nicht an? Und da bin ich eben runter und habe gesagt, daß ich nicht weiß, was Schtäga ist. Da ist er mit mir hinauf und hat den Lappen genommen und hat mir auf den Knien ganz langsam gezeigt, was ich machen soll. Dann hat er leise gesagt: die Treppe putzen. Ja, habe ich gesagt, Treppe, das verstehe ich! Aber Schtäga habe ich nicht gekannt.
    Wir haben ja nicht Schweizerdeutsch gelernt in der Schule, nur Hochdeutsch. Und der Unterricht in Chur war dann im Dialekt und ich habe mitgeschrieben und am Abend bin ich immer dagesessen und habe versucht rauszubekommen, was das heißt. Ich kannte die Wörter im Churer Dialekt nicht.
    Wenn die Touristen kamen, im Sommer, das war dann nach dem Krieg, mit den Autos, und wenn sie auf dem Dorfplatz gehalten haben, da sind wir davongelaufen. Wie die Wilden, wie im Dschungel; manchmal habe ich gedacht, das ist jetzt wie im Dschungel. Denn wir wußten, die fragen uns gleich was. Die wollen wissen, wo die und jene Familie ist, bei der sie in den Ferien wohnen. Und wir haben das dann

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