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Alle lieben Merry

Alle lieben Merry

Titel: Alle lieben Merry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Greene
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Ausstellung – kein Wunder, sie liebte alles, was mit Naturwissenschaft zu tun hatte. Mit ihrer Mütze, die sie tief in die Stirn gezogen hatte, den in den Taschen vergrabenen Händen und ihren ausgefransten Khakihosen sah sie heute ein bisschen wild aus.
    “Kennst du die Pandas im Zoo von Washington?”
    “Klar. Jeder liebt unsere Pandas.”
    “Nun, die Mütter bringen meistens Zwillinge auf die Welt, ziehen aber fast nie beide Babys auf. Sie beobachten, welches der Kleinen sich gut entwickelt. Das andere vernachlässigen sie oft. Das heißt, sie widmen ihre ganze Aufmerksamkeit dem größeren, stärkeren Baby.”
    Charlene runzelte die Stirn. “Ätzend.”
    “Ich glaube, der Grund dafür ist, dass die Mutter wenigstens eines ihrer Kinder durchbringen will. Also wählt sie das aus, das die besten Chancen hat. Und dann gibt es auch Pinguine, die …” Niemand könnte behaupten, dass Merry nicht Bescheid wusste. Immerhin war sie die ganze Nacht wach geblieben und hatte sich informiert.
    “Ich liebe den Film”, unterbrach Charlene sie.
    “Ich auch. Aber bei den Magellan-Pinguinen legt die Mutter zwei Eier und lässt beide Babys ausschlüpfen, doch dann gibt sie das ganze Futter dem größten Küken. Das andere lässt sie verhungern. Dann gibt es auch noch Schweine, die …”
    “Wie kommst du jetzt plötzlich auf Schweine?”
    Mittlerweile waren sie beide am Verhungern. Sie setzten sich in eine überfüllte Cafeteria und bestellten Sandwiches und Pommes Frites. “Die Sache ist die”, erklärte Merry, darüber begeistert, noch mehr aus ihrem Wissensschatz anzubringen, den sie sich über Nacht angeeignet hatte. “Schweine werden mit kleinen, spitzen Eckzähnen geboren, die seitlich herausragen. Sie verwenden diese Zähne, um ihre Brüder und Schwestern wegzustoßen, damit sie besser an die Muttermilch gelangen. Leider bedeutet das für den Kleinsten des Wurfs, dass er total aufgeschlitzt wird und außerdem nicht genug Milch bekommt.”
    “Iiih! Eklig. Und auch gemein.”
    “Das fand ich auch. Es ist seltsam. Ich dachte immer, dass Mütter von Natur aus liebevoll und fürsorglich sind, wenn nicht irgendetwas Außergewöhnliches geschieht. Nur stimmt das eben nicht immer. Auch bei den Schimpansen …”
    “Ich liebe Schimpansen.”
    “Ja, ich auch.” Sie blickte sich suchend nach einem Abfalleimer um, in den sie den Verpackungsmüll vom Essen stopfen könnte. “Bei den Menschen ist es so, dass Mütter manchmal ihre Babys weggeben – Affenmütter hingegen nie. Nur wenn eine Schimpansenmutter aus irgendwelchen Gründen ihrem Kind nicht genug Futter geben kann, wenn es etwa einen allgemeinen Futtermangel gibt, tut sie ihrem eigenen Baby nichts. Aber sie tötet das Kind einer anderen Schimpansenmutter.”
    Charlie verzog das Gesicht. “Bäh, pfui. Doppel-bäh.”
    “Ja, ich weiß. Aber das zeigt nur wieder … dass wir alle von einer Mutter erwarten, perfekt zu sein, nicht wahr? Aber so ist es nicht. Die Natur erschafft keine perfekten Mütter. Zumindest nicht so, wie wir es gerne hätten.”
    “Hm.” Charlene kaute an ihrem Sandwich. “So ähnlich wie deine Mutter. Und meine. Stimmt’s?”
    Merry wagte kaum zu atmen. Ihre Kleine hatte verstanden. Genau, wie sie es sich erhofft hatte. “Stimmt. Du und ich haben beide Mütter, die uns enttäuscht haben. Aber wie gehen wir damit um? Lassen wir davon unser ganzes Leben bestimmen? Es ist nun mal so, wie es ist. Wir haben keinen Einfluss darauf, wie sich die Menschen verhalten. Sie scheinen die Hälfte der Zeit selber keinen Einfluss darauf zu haben.”
    Komm schon, Charlie, erzähl mir von dem Anruf
, dachte sie.
    “Weißt du, was ich denke?”, fragte Charlene.
    “Nein, was denn?” Merry wagte immer noch kaum, Luft zu holen.
Komm schon, komm schon
, dachte sie.
    “Ich glaube nicht, dass ich eine Mom sein möchte. Ich glaube, dass es insgesamt viel einfacher ist, ein Junge zu sein als ein Mädchen.”
    Himmel! Das war nicht die Richtung, die das Gespräch nehmen sollte. “Nur weil wir Mütter hatten, die uns verlassen haben? Aber Charlie, denk mal nach. Wenn du einmal eine Mom bist, kannst du es so machen, wie du es für richtig hältst. Eben
weil
wir Mütter hatten, die nie da waren, werden wir vielleicht nicht das Gleiche tun wie sie.”
    “Schon, aber …” Charlene wischte sich die Hände an den Hosen ab. “Weißt du, was im Bus passiert ist?”
    “In welchem Bus?” Merry wusste nicht genau, was ein Bus mit dem Thema zu tun haben sollte

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