Alle lieben Peter
der Kerl, wie aus Eisen! Man sollte systematisch nur Kreuzungen züchten, viel gesünder und in den Instinkten schärfer. Lümmel — wie siehst du mich wieder an!«
Peters Verhalten ihm gegenüber war zwiespältig. Einerseits schreckte ihn der Krankenhausgeruch ab, der nun einmal untilgbar in Pauls Kleidern hing. Andererseits spürte er die klare und starke Sympathie des Mannes. So zog er denn zwar das schwarze Rußnäschen kraus, rückte aber trotzdem immer näher an Kluge heran und reichte ihm gravitätisch die Pfote. Paul faßte ihn dann unter den rötlichen Klebebart und wandte sich lebhaft nach mir um:
»Verstehst du, was das bedeutet? Mein Gestank stört ihn, aber er weiß, daß ich ihn liebe, de profundis liebe. Kerl, weißt du eigentlich, wie wunderbar bizarr du bist? Ich glaube, er weiß sogar das! Himmelherrgott, wenn Peter sprechen könnte — dieses Wesen, halb Mensch, halb Elementargeist. — Du, Peter, hör mal, wenn sie dich hier nicht mehr wollen, kommst du zu mir, verstanden? Ich verwende dich als Gedankenleser bei Patienten, die durchaus nicht zahlen wollen, und wenn sie trotzdem nicht zahlen und alles nichts hilft, treten wir beide im Zirkus auf.«
All diese Chancen breitete ich vor meiner Gefährtin aus: »Du siehst, du kannst ganz beruhigt wegreisen. Wenn es gar nicht anders geht, können wir sie alle drei eine Zeitlang bei Menschen unterbringen, die sie lieben.«
»Ich bleibe, bis das Haus aufgelöst ist«, sagte sie darauf.
»Aber du kannst doch dabei gar nicht helfen!«
»Was soll das heißen? Bin ich ein Krüppel?«
»Nein, natürlich nicht. Aber...«
»Ich bleibe.«
4
Ja, und so gingen wir an die Auflösung des Hauses. Über sieben Jahre hatten wir darin gelebt und gehofft, daß wir bis zum Lebensende darin bleiben könnten. Eine törichte Hoffnung, weil sie im Widerspruch steht zu den persönlichen Erfahrungen, die wir alle in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Aber der Mensch schlägt eben gern Wurzeln, und in jeden Winkel des Hauses, in jede Mauerritze und jeden Meter des Gartens hatten sich die Wurzeln unseres Gefühls tief gesenkt.
Vorher waren wir uns dessen gar nicht bewußt gewesen. Wenn jemand das Haus lobte, hatten wir gesagt: »Ach, es ist ‘ne alte Bude, und dies und jenes müßte gemacht werden — nie wieder mieten wir so’n großes Haus.« Aber jetzt mußten alle diese Wurzeln, diese feinen, langen Herzenswurzeln herausgerissen werden, bis da nichts mehr blieb als ein leerer Steinwürfel und ein verwilderter Garten, der jetzt schon fremd aussah und sich gewissermaßen zurücknahm, noch bevor wir gegangen waren. Irgend etwas starb. Nicht das Haus (andere würden nach uns darin wohnen, und dieser Gedanke tat besonders weh), aber das, was uns mit dem Haus verbunden hatte, jenes unerklärliche Dritte, das wie ein lebendiges Wesen war — es starb unter großen Schmerzen.
Wir hatten uns Kisten geliehen und packten die lockeren Sachen, Bücher, Wäsche, Geschirr, selbst. Es war billiger. Die Umzugfirma hatte dann nur die Kisten und Möbel aufzuladen. So begannen wir mit dem Ausräumen der Schränke und überhaupt mit dem großen Aufräumen und Sortieren. Was da nicht alles aus dem Sediment dieser Schränke und Truhen, Böden und Keller zum Vorschein kam! Zum Beispiel der Brieföffner aus Damaszenerstahl mit den eingelegten jagenden Pferden, der vor sieben Jahren verschwunden war. Wir hatten seinerzeit den Elektriker in Verdacht gehabt, weil er sich dafür interessiert hatte. Jetzt mußten wir es ihm tief innerlich und beschämt abbitten. Dann die beiden hölzernen Serviettenringe der Urgroßmutter. Ihr Verschwinden wurde seinerzeit zum Anlaß eines solennen Familienkrachs, bei dem die schweren Brocken wie >Lieblosigkeit, Mangel an Familiensinn, Kluft zwischen den Generationen< nur so durch die Zimmer flogen. Wir fanden sie total zerknabbert in einer Kellerecke, in die sich Peterle in seiner ersten Zeit immer bei dicker Luft geflüchtet hatte.
Ferner tauchten auf: unzählige Medizinflaschen, kaputte Lampen, ein Kindernachttopf, auf dessen Herkunft sich kein Mensch mehr besinnen konnte, Gardinenringe, Mottenkugeln, Zinnsoldaten, eine Mundharmonika aus meiner Jugend, Haufen von Filmspulen, ausgebrannte Radioröhren, Zahnbürsten, Rasierapparate, ein vermotteter Tirolerhut, Muscheln und Steine von der Nordsee, alte Taschenmesser, angeklopfte Kaffeekannen, Kisten mit alten Modezeitschriften und mit Romanen, die ich zu schreiben begonnen und nie zu Ende gebracht
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