Alle lieben Peter
wollte doch meinen Freund Anselm nicht beleidigen und ebensowenig den Herrn Postminister, der sich jetzt auch zur Feier einstellte. Schließlich tat sich die Tür auf, und es erschien auch noch der Filzer-Loisl. Anselm erzählte eine Stunde lang die Sache mit den Hennen und Agathe, Fini sorgte für stets gefüllte Maßkrüge und machte die nötigen Striche auf den Bierdeckeln. Nach dem fünftem Strich, den sie beim Filzer-Loisl machte, wobei sie sich an ihm vorbei über den Tisch lehnte, betrachtete dieser nachdenklich ihr gerundetes Hinterteil und hob dann die Hand. Es war ein spannender Augenblick. Anselm stieß mich mit dem Knie unter dem Tisch an und kniff ein Auge zu. Er sah in diesem Moment aus wie der Satan in Person. Wir beide starrten gebannt auf Loisls Hand, aber sie blieb in der Luft hängen, fünf Zentimeter von Fini entfernt. Auf Loisls Gesicht malte sich ein tiefer seelischer Zwiespalt. Wir wußten, was dahinterlag. Einerseits hätte er gern, andererseits »ging« Fini mit dem Xaver. Xaver gehörte zu den Holzfällern, die hoch oben am Berg Bäume umlegten und nur einmal alle vierzehn Tage oder gar nur einmal im Monat herunterkamen, um ihr Bierquantum zu absolvieren. Xaver war zwar heute noch nicht da, aber man hätte es ihm sicher erzählt, und er hatte die Angewohnheit, Leute, die der Fini zu nahe traten oder ihm sonst nicht paßten, mit beiden Armen über den Kopf zu heben und mit Scheibe und Rahmen durchs Fenster zu feuern. Schließlich siegte der Gedanke an Xaver in Loisl, und er ließ die Hand wieder sinken. Fini beendete ihren Strich, richtete sich auf, schob Loisl den Hut ins Gesicht und sagte: »Ist auch besser! Er kommt heute abend!«
Lupus in fabula — die Tür ging auf, der Holzfällerverein stampfte in die Stube. Fini stellte noch einen Tisch heran, Stühle wurden gerückt, Xaver holte eine Zither, und dann wurde gesungen, lauter Schnaderhüpferl. Es war wie auf dem Bauerntheater. Ich werde bei so was zunächst immer etwas verlegen, und ich wurde es auch jetzt, zumal ich kein Wort verstand. Es wurde nämlich auf urbayrisch gesungen, war aber offenbar sehr gepfeffert. Später entdeckte ich zu meiner Überraschung, daß ich mitsang. Ich war schon in der Schule aus der Gesangstunde herausgeflogen, weil ich jeden Akkord versaute. Die Männer hier waren denn auch etwas erstaunt. Irgend etwas schien in ihrem Chor nicht zu stimmen, und der Xaver hielt ein paarmal mit dem Zupfen inne und horchte mit schiefem Kopf. Endlich merkten sie, daß ich es war, und da tranken sie mir freundlich zu und sangen trotzdem weiter.
Was dann noch geschah, weiß ich nicht mehr genau, ich hatte beträchtliche Erinnerungslücken. Einmal, sehr spät, wurde ich wach, war aber nicht mehr im Lokal. Etwas rollte und stieß unter mir. In einem Arm hatte ich den Dicken, im anderen Weffi, und ich fand heraus, daß wir alle drei auf einem Schubkarren lagen. Den Karren schob der Xaver, und neben ihm ging der Anselm mit einer Stallaterne, so ‘ner richtigen alten, rechteckigen mit ganz verdreckten Scheiben. Die Stallaterne schwankte ungeheuer und Anselm auch. Gerade sagte der Xaver: »Paß auf, Krüppel, damischer, halt dei Stang fest, sonst fallt mir der Doktor ‘nunter!«
Dann weiß ich noch, daß wir außen an unserem Haus waren und Anselm sich kolossale Mühe mit mir gab. Er hatte mich an die Wand gelehnt, die Stallaterne stand auf der Erde, und er tätschelte mir das Gesicht: »Geh, Spezi«, sagte er, »jetzt tust mir ein’ Gefall’n und fällst nit umi, i schließ nur mal auf!«
In der Nacht (was davon übrig war) kämpfte ich mit lauter Riesenhennen, die sich mir dauernd auf die Brust setzten. Schließlich gelang es mir, die gackernden Ungeheuer bei den Hälsen zu packen und in einen kreisrunden schwarzen See zu werfen. Es gab prächtige Kringel, als sie wie die Steine darin verschwanden. Aber dann wallte der See, und heraus tauchten Kopf und Hals von Peterle, er sah mich jammervoll an, daß es mir das Herz zerriß, und verschwand wieder. Ich mußte ihn retten. — Peter! Ich zog mir die Jacke aus und sprang nach, schnappte nach Luft und saß aufrecht im Bett. Meine Zähne klapperten. Peter!
Dann sah ich mich um. Ich lag angezogen auf dem Bett, meine Schuhe standen auf der Erde davor. Quer über meine bestrumpf-ten Füße lümmelte sich der Dicke, und neben mir pustete das Papp-Pferd. Die helle Mittagssonne schien schon ins Zimmer. Peter!
»Wißt ihr eigentlich, wie gut ihr es habt?« sagte ich zu den beiden
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