Alle lieben Peter
alten Hauses, Herrchen und Frauchen waren in die Stadt gefahren, aber sie würden bald wiederkommen. Er hörte Cocki schlappend aus dem Bassin saufen, dann kamen tipp-tipp Weffis Krallen über die Platten des Gartenwegs. Peter machte die Augen auf. Die Vision verblaßte. Das Tipp-tipp-tipp war das Klicken der Stricknadeln. Er schloß die Augen und fing wieder an zu drosseln. Tante Helene sah über die Brille hinweg zu ihm hinüber und seufzte: »Ach, Peterchen, was war das nur heute nacht?«
In diesem Augenblick war draußen eine Fanfare, eine Dreiklang-Fanfare! Herrchens Wagen! Peter fuhr mit einem Ruck hoch. Noch einmal die Fanfare, jetzt ganz nah. Herrchen — diesmal war kein Zweifel! Peter stieß einen markerschütternden Schrei aus, schnellte vom Kissen auf Tante Helenes Schoß, von ihrem Schoß durch das halboffene Fenster. Ein großer dunkler Wagen glitt draußen vorbei. Etwas stach Peter in den Schenkel — das waren die Kakteen. Er riß den Topf mit heraus, überschlug sich draußen auf dem Rasen, fegte mit einem einzigen, gewaltigen Satz — was er noch nie getan — über den hohen Zaun, dem Wagen nach. Der hielt jetzt an der Ecke, ein großer Herr stieg aus. Er raste auf ihn zu, winselnd vor Freude — und dann war es doch nicht Herrchen.
Der große Herr beugte sich herunter: »Nu, was willst du denn, du kleiner Kerl?«
Aber Peter machte mit eingezogenem Schwänzchen kehrt und schlich wieder zurück. An der Tür empfing ihn Tante Helene, ihr Gesicht war blaß, die eine Hand hatte sie auf den wogenden Busen gepreßt: »Jetzt ist es genug, Peter«, sagte sie, »ich habe fast einen Herzschlag bekommen! Das halte ich nicht mehr aus! Ich schicke dich zurück, ich schicke dich gleich zurück. Und der Kaktus ist auch kaputt — nein, ich schicke dich zurück.«
Peter drückte sich an ihr vorbei und legte sich wieder auf sein Kissen. Tante Helene schloß ihn ein und ging dann zur Frau Kapitän.
11
In der Nacht zum 14. November hatte ich zunächst ruhig geschlagen. Dann aber begann ein merkwürdiger Traum. Wieder von Peterchen. Er war ganz anders als der, in dem sein Kopf aus dem Teich auftauchte, viel stärker, fast wie eine Vision.
Ich sah auf viele hintereinanderliegende Höhenzüge, die da in der dunklen Nacht lagen. Sie verschwammen unter einem bösen, verschleierten Mond. Es war kalt, und über allem brütete ein Gefühl des Unheils und der Verlassenheit. Und dann kam über diese Höhen von weit, weit her ein Heulen, das herzdurchbohrende Klagen eines einsamen, unglücklichen Hundes. Plötzlich erkannte ich die Stimme: Peterchen! Es war Peterchen, der mich rief. Er brauchte mich, er war in größter Not — er drohte zu vergehen — Peter!
Ich begann verzweifelt mit der bleiernen Decke des Schlafes zu kämpfen, die erdrückend auf mir lag. Ich mußte ihm helfen. Aber ich war gelähmt. Doch ich gab nicht nach, ich spannte meine Energie bis zum Bersten an und riß mich hoch: Peter — ich komme!
Wach! Ich saß aufrecht im Bett, kalten Schweiß auf der Stirn. Licht. Das Brautbild der Widderhälse mir gegenüber an der Wand. Darunter, auf dem Sofa, meine beiden Kumpane. Weffi hob den Kastenbart unter der Decke, blinzelte zu mir herüber und gähnte. Der Dicke schob das Ohr vom Auge und warf mir einen ernsten Blick zu. Wum-wum-wum machten die Turbinen. Der Nachtwind wehte den Vorhang ins Zimmer. Aber noch immer hatte ich das Heulen im Ohr. Nur langsam schien es in der Nacht zu verklingen. Peter!
Ich saß in meinem Bett und zog die Decke eng um mich. Es war kalt, und obendrein ließ mich die innere Erregung so frieren, daß meine Zähne klapperten. Plötzlich fiel mir etwas ein: Wenn nun das Heulen kein Traum war? Hatte man nicht schon gehört, daß Hunde über enorme Entfernungen hinweg wieder zu ihren Herren zurückkamen? Mein frierendes Gebein versuchte mich zu überreden, daß dieses Unsinn und es viel vernünftiger und vor allem bequemer sei, im warmen Bett zu bleiben. Mein Herz aber empörte sich über diese Schlappheit. — Du lebst hier wie die Made im Speck, verdammter Faulpelz, während dein geliebter kleiner Hund sich vor Schmerz verzehrt. Und dir lohnt es nicht mal aufzustehen? Raus mit dir!
Ich zog mir Schlafrock und Pantoffeln an und sah zunächst aus dem Fenster. Rabenschwarze Nacht. »Peter?« Nichts. Ich holte meine Stablampe und leuchtete aus dem Fenster. Der Strahl warf eine Lichtreuse durch dünnen Nebel und riß kahle Sträucher mit ein paar letzten Blättern aus der Finsternis.
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