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Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
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ich. »Aber ich find’s nicht lustig.«
    »Lache ich etwa?«
    Ich schüttelte den Kopf. In was war Christian da hineingeraten ... in was hatte er mich hineingezogen? Ich versuchte, in Yassis Gesicht zu lesen. Doch da war nichts zu holen. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht unvernünftig wurde. Ich sollte eigentlich aus der Gasse stürmen, weglaufen, schreien, irgendetwas tun, aber der Anblick der Waffe -wenn sie denn überhaupt echt war - ließ mich wie angewurzelt auf dem Pflaster verharren. Würde sie mich etwa hier in aller Öffentlichkeit niederschießen?
    »Meine Schwester ...«, sagte sie und kaute auf ihrem abgenagten Zeigefinger herum. »Sie war Christians Freundin.«
    »Deine Schwester?«, wiederholte ich. Für eine andere Äußerung war ich zu entgeistert.
    Yassi nickte. »Giti. Sie heißt Giti.«
    Ich erinnerte mich wieder an die Frau, die ich mit Christian in der Eingangshalle gesehen hatte. Das musste Giti gewesen sein. Und deswegen war mir Yassi so bekannt vorgekommen. Die beiden sahen sich ähnlich. Yassi war blasser und sah fertiger aus, aber die fremdartigen, grauen Augen waren dieselben.
    »Ich brauche deine Hilfe«, fuhr sie fort und kam näher. Ihre Kampfstiefel knirschten auf zerbrochenem Glas. »Weißt du, ich mag dich ...«
    Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber dann wieder. Wenn das Yassis Art war, ihre Zuneigung zu zeigen, wollte ich sie bestimmt nicht zur Feindin haben. »Was willst du von mir?«, brachte ich mühsam hervor.
    »Ich will, dass du den Mund hältst«, befahl sie. »Das wäre schon mal das Erste.«
    Mein Mund klappte zu. Wovon redete sie? Ich nickte. Unter den gegebenen Umständen war es garantiert besser, sich umgänglich zu zeigen.
    »Du bist ganz in Ordnung«, grinste sie. »Jedenfalls für eine aus der Bourgeoisie.«
    Ich hätte gelacht, wenn ich nicht Angst gehabt hätte, dass sie mich erschießen könnte. Dann trat ich ein paar Schritte zurück. Vielleicht konnte ich einfach losrennen ... einen Schuss in den Rücken könnte man doch überleben, oder?
    »Ich will über Kyle reden«, sagte Yassi.
    »Kyle?«, fragte ich. »Und was ist mit Christian?«
    »Vergiss Christian«, gab sie zurück. »Er ist tot... er war dumm.« Sie zündete eine Zigarette an und reichte sie mir. Ich rauchte, obwohl ich es nicht wollte. Aber irgendwie schien es mir keine gute Idee abzulehnen.
    »Was meinst du mit dumm?«
    »Er war’s einfach«, antwortete sie. »Er hat sich benommen wie ein überkandidelter Filmstar.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber egal. Deswegen sind wir nicht hier.«
    Kyle hatte mir erzählt, dass Yassi dazu neigte, wegen Kleinigkeiten auszurasten. Jetzt erinnerte ich mich plötzlich wieder an diverse Anekdoten ... Storys, die ich als Kyles Märchen abgetan hatte. Angeblich hatte sie einen Bauarbeiter zusammengeschlagen, weil er ihr nachgepfiffen hatte. Und dann die Geschichten aus der algerischen Revolution ... Aber was auch immer nun an Kyles Geschichten dran war - sie hatte eine Waffe bei sich. Ich hoffte inständig, dass sie endlich zur Sache kommen würde.
    »Ich will, dass du Kyle warnst ...«, befahl sie mir, während sie den Rauch ausstieß. »Vor dem, was auf ihn zukommt.«
    Meine Nackenhaare stellten sich auf. Kyle hatte angedeutet, dass et
    was Schlimmes im Gang war. Warum warnte sie ihn nicht? Ich hätte es ihr beinahe vorgeschlagen.
    »Ich würde es selbst tun«, sagte Yassi jedoch in diesem Moment. »Aber es geht nicht. Wir reden nicht mehr miteinander.«
    Ich hatte es vergessen - sie hatten Schluss gemacht. Ich konnte es aber auch nicht tun. In was immer Kyle verstrickt war - es war anscheinend ernst. Und ich wollte nicht mit reingezogen werden.
    »Er wird dich anrufen«, redete sie weiter. »Das tut er ja immer.« Sie warf die Kippe nachlässig auf den Boden und zertrat sie mit ihrer stahlverstärkten Ferse.
    »Sei dir da nicht so sicher ...«, wandte ich zaghaft ein. Kyle hatte die Angewohnheit, für Tage, manchmal sogar Wochen unterzutauchen.
    »Doch, er wird«, beharrte sie. Ihr Blick wurde plötzlich klar und ruhig, als hätte man eine Kameralinse justiert.
    »Alex«, sagte sie. »Du hast es kapiert, oder?«
    »Klar«, antwortete ich, obwohl das nicht stimmte. Was sollte ich kapiert haben?
    Sie senkte den Kopf und zog den Reißverschluss ihrer Jacke langsam wieder zu. War das Verhör vorbei?
    »Und noch eins...«, sagte sie, während sie schon auf die Straße zuging. »Denk noch nicht mal dran, zur Polizei zu gehen.«
    Ich hatte daran gedacht. Trotzdem

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