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sich kerzengerade auf. »Du traust mir nicht?«
»Du hast mir verschwiegen, dass du schon vorher mit Christian zu tun hattest«, sagte ich.
»Fängst du jetzt wieder damit an?«
Ich schwieg.
Kyle stöhnte. »Ich wollte es dir ja sagen. Ich hab mir bloß für ein paar lausige Dollar ein bisschen Koks von ihm besorgt.« Er hob die Hände. Seine Finger erinnerten mich an Lakritzstangen.
»Ich glaub’s dir«, gab ich nach, »wenn du dich dadurch besser fühlst.«
»Oh, Mann, danke sehr.« Er lächelte säuerlich.
Ein paar Minuten verstrichen. Der Kellner brachte die Rechnung. Kyle nahm das Wechselgeld in Empfang. Dann meinte er, er müsse gehen. Er würde mich später anrufen. Und weg war er. Ich beschloss, noch zu bleiben und bei einem zweiten Cappuccino darüber nachzudenken, was Kyle gesagt hatte. Auf jeden Fall schien Christian irgendjemandem kräftig auf die Füße getreten zu sein. Aber Kyle hatte eine blühende Fantasie - blühend und wahnhaft. Auch deswegen hatte ich nicht schon längst mit ihm gebrochen. Und wer konnte schon sagen, welche Botenstoffe jetzt wieder in seine Venen ausgeschüttet wurden. Die ganze Geschichte griff langsam derart meine Nerven an, dass ich mich nach Kalifornien sehnte. Ich freute mich jetzt schon darauf, meine Sachen packen zu können. New York war genau die Art von Stadt, in der man unversehens von einem Bus platt gefahren werden konnte.
22
Als ich die Konditorei verließ, fror es. Ich beeilte mich, nach Hause zu kommen. Die Temperatur schien immer noch weiter zu fallen. Meine Ohren und Zehen schmerzten. Ich ging noch schneller, denn ich hatte das unangenehme Gefühl, dass sich jemand an meine Fersen geheftet hatte - schon wieder. Ich machte mich langsam wirklich verrückt. Als ich über die Schulter guckte, erwartete ich Kyle zu sehen, doch ich konnte niemanden ausmachen, der irgendwie verdächtig - oder bekannt - aussah. Nur die üblichen anonymen Gesichter, die in Schals und Kapuzen vergraben waren. Trotzdem wechselte ich die Straßenseite - ich konnte nicht anders. Wenn ich nicht bald aus New York herauskam, würde ich demnächst endgültig eingeliefert werden. Ich sah mich schon auf einer schwarzen Ledercouch liegen und irgendetwas über einen Traum erzählen, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Arm spürte. Ich fuhr herum. Es war Yassi. Ihr Gesicht war vom kalten Wind gerötet, als ob sie den ganzen Tag draußen gewesen wäre. Plötzlich war ich stocksauer. Ich versuchte, sie abzuschütteln, aber sie zog so fest an meinem Arm, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Ein Mann in einem abgewetzten Mantel ging vorbei. Ich versuchte, seinen Blick aufzufangen. Er zögerte, hielt aber nicht an. Und dann zerrte sie mich in eine dunkle, nach Pisse stinkende Gasse. Sie hielt mich mit einer Hand am Oberarm fest. Sie war ein ganzes Stück stärker, als ich gedacht hätte.
»Wir müssen reden«, sagte sie schließlich. Sie lockerte ihren Griff, ließ aber nicht los.
»Finger weg«, fauchte ich.
Aber Yassi hörte mir gar nicht zu. Sie blickte sich hektisch um. Die Gasse war lang und nur schwach beleuchtet. Wenn ich die Arme ausgestreckt hätte, hätte ich auf beiden Seiten die Backsteinmauern berühren können. Yassi machte den Reißverschluss ihres dicken Tarnparkas auf und zeigte mir etwas, das wie eine Spielzeugpistole aussah - ich hatte allerdings auch noch nie eine echte gesehen. Sie steckte in ihrem Hosenbund. »Halt die Klappe, ja?«
Irgendetwas in meinem Inneren zwang mich zu lachen, aber was dabei herauskam, klang ganz und gar nicht natürlich. Es war ein halb ersticktes, hysterisches Kichern. Yassi fand das gar nicht komisch. Sie hielt immer noch meinen Arm, während ich auf die Pistole unter ihrer Jacke starrte. Plötzlich fühlte ich mich so schwach, dass ich nur beten konnte, nicht ohnmächtig zu werden.
Sie bedachte mich mit einem misstrauischen Blick. »Mach bloß keine Dummheiten«, sagte sie. Dann ließ sie mich los.
»Was willst du?«, fragte ich heiser. Bis eben war meine Stimme noch völlig in Ordnung gewesen.
»Es geht um Christian«, erklärte sie, während sie sich den Kahlkopf rieb. »Was sonst.«
Ich konnte es nicht fassen. Erst Kyle, jetzt Yassi. Hatte Christian mit jeder einzelnen bescheuerten Person, die ich in New York kannte, zu tun gehabt? »Willst du mich verarschen?«, flüsterte ich.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte sie und verengte ihre grauen, blutunterlaufenen Augen zu Schlitzen.
»Ich weiß nicht«, erwiderte
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