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Kyle.«
Jan runzelte die Stirn. »Vielleicht hat er ... jemanden provoziert.« Er zündete sich eine Zigarette an.
»Wie kommst du darauf?«
Er klopfte seine Asche in ein Glas ab. »Ich wollte dir bisher nichts davon sagen.«
»Wovon?« Ich war alarmiert. Auch Jan hatte mir etwas verschwiegen?
Er blies eine Qualmwolke über unsere Köpfe. »Als wir damals in dieser Bar waren«, begann er, »hat sich Kyle benommen wie ein Verrückter.«
Das war für mich nichts Neues. Ich wartete, wie es weitergehen würde.
»Er war sehr ... unangenehm.« Jan zog noch einmal an seiner Zigarette und drückte sie dann aus. Dann zog er seine Schuhe an.
»Er ist immer unangenehm«, sagte ich, erneut erstaunt über die Tatsache, dass die beiden tatsächlich einen Abend zusammen verbracht hatten.
»Ich weiß«, bestätigte Jan. »Aber er wirkte so wütend.«
»Er ist immer wütend.«
»Kyle ist wild entschlossen, sich selbst zu zerstören«, sagte er, während er mich eindringlich ansah. »Du kannst ihm nicht helfen.«
Bis zu einem bestimmten Grad hatte Jan Recht. Trotzdem fühlte ich mich wie der letzte Dreck. Ich hätte sofort versuchen sollen, Kyle Yassis Warnung zukommen zu lassen.
Jan stand auf und stellte sich vor den Spiegel, um seine Haare zu kämmen. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er wirkte aufgewühlt.
»Soll ich bleiben?«
»Nein, schon gut.«
»Du musst es nur sagen.«
Ich wollte lieber allein sein und mir in Ruhe Sorgen machen. Jan blieb noch eine Weile und versuchte, mich wieder aufzumuntern. Es war lieb von ihm, aber ich wollte nachdenken. Schließlich brachte ich ihn zur Tür, wo er mich lange umarmte. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag, dann ging er.
Ich verbrachte den Rest der Nacht damit, die Gespräche mit Kyle und Yassi wieder und wieder in Gedanken durchzugehen, aber mir fiel nichts mehr ein, was ich nicht schon zigmal überdacht hatte. Immer wieder stellte ich mir dieselben Fragen: Warum war Christian umgebracht worden? Was wusste Yassi, das ich nicht wusste? Warum waren Kyles Arme gebrochen? Und - am wichtigsten! - hatten Kyles gebrochene Arme etwas mit Christians Tod zu tun? Diese offenen Fragen reichten aus, um mich bis vier Uhr morgens wach zu halten. Ich würde morgen früh zu Kyle gehen und aus ihm herausquetschen, was immer aus ihm herauszuquetschen war. Und wenn ich ihm dafür noch ein paar Knochen brechen musste.
24
Das Krankenhaus war eine dieser riesigen städtischen Abladestationen für Bettler und Diebe, die hier wie auf einer Müllhalde entsorgt wurden, und stank nach Ammoniak, Bohnerwachs und Krankheit. Die Glastüren waren fleckig von den schmierigen Fingerabdrücken der letzten Monate. Die Flure waren schmuddelig, das Linoleum schälte sich langsam ab. Die Wände hatten dringend einen neuen Anstrich nötig. Ich fragte eine schlampig aussehende Krankenschwester nach Kyle. Sie bellte mir eine Zimmernummer entgegen, ohne mich anzusehen. Ich ging durch die Gänge, darum bemüht, möglichst nicht daran zu denken, warum Kyle hier war. Als ich endlich bei seinem Zimmer angekommen war, blieb ich wie angewurzelt stehen: Vor seiner Tür war ein Cop postiert. Bei seinem Anblick wurde mir schwindelig.
Der Polizist nahm geräuschvoll einen Schluck aus seinem Kaffeebecher. »Ja?«, fragte er mit heiserer Stimme.
»Ich bin eine Freundin«, sagte ich. Wahrscheinlich würde er mich jetzt gleich verhaften.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß«, gab ich zu. »Es ist schwer zu glauben.«
Er lachte, aber es klang mehr nach husten. »Wie heißen Sie?«
»Muss ich Ihnen das sagen?«
»Wenn Sie reinwollen, ja.«
Seine Nasenlöcher waren so riesig, dass ich ihm bis ins Hirn sehen konnte. »Alex Orlando«, sagte ich und griff nach der Klinke.
»Moment, Moment«, hielt er mich zurück. Er holte ein Clipboard hinter seinem weißen Klappstuhl hervor. »Den Nachnamen buchstabieren. Langsam. Und hier unterschreiben.«
Das tat ich. Er betrachtete das Blatt einen Moment lang, als würde mein Name irgendeine geheime Botschaft enthalten.
»Kann ich jetzt rein?«
»Italienischer Name?«
Ich verdrehte die Augen. »Ja.« Erst jetzt sah ich auf sein Namensschild: Mastrangelo.
Er klopfte sich auf seine Brust. »Ich bin auch Italiener.«
»Schön«, sagte ich. »Kann ich jetzt rein?«
»Nur, wenn Sie mir sagen, was ein nettes Mädchen wie Sie an so einem Drecksack findet.« Er deutete mit dem Daumen zur Tür.
Ich schenkte ihm mein lieblichstes Lächeln. »Ich steh nun mal auf
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